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Keine Angst vor Anakondas

Keine Angst vor Anakondas

Titel: Keine Angst vor Anakondas
Autoren: Lutz Dirksen
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einem pittoresken Tal, das ringsherum von steilen Felswänden eingeschlossen war. In seiner Mitte breitete sich großflächig ein Moor aus. Sie waren ein paar Moschusochsen auf den Fersen. Voll konzentriert filmten sie die Tiere vom Rand der Felswand aus. Spannung erfasste sie, als der alte Leitbulle die Jungen aus der eigenen Herde ein bisschen hin und her scheuchte. Mit der Highspeed-Kamera im Anschlag hofften sie auf einen Herausforderer, der sich dem alten Bullen stellte, und auf einen mächtigen Zusammenstoß. Sie waren so sehr mit der Situation vor ihnen beschäftigt, dass sie zu spät bemerkten, dass hinter ihnen eine kleine Gruppe mit einem großen Bullen auf sie zukam.
    Es geschah nicht zum ersten Mal, dass sie Moschusochsen in der hügeligen Landschaft erst bemerkten, als die von hinten auf sie zukamen. Unerwartet und ungewollt standen sie dann zwischen den Tieren. Wie Schachfiguren wichen sie sofort seitlich in einen freien Raum aus. Was aber tun, wenn man am Rand des Spielfeldes festsitzt? Nun wiederum befinden sie sich an einer Felswand, und rings um sie herum nähern sich allmählich die grasenden Moschusochsen. Eine Flucht ist ihnen verwehrt. Der Felsrand ist zu unwegsam und würde zu nah an die Moschusochsen heranführen. Halbkreisförmig steht im Abstand von 50 bis 150 Metern die ganze Herde um sie herum. Sie sitzen in der Falle. Schachmatt. Nichts geht mehr. Es gibt keinen Weg an den Tieren vorbei. Bisher waren sie immer ausgewichen, wenn die Hünen der Bergtundra sich in ihre Richtung bewegten. Genau das erwarteten die Moschusochsen jetzt auch.
    Irgendwann guckt der große Bulle die beiden intensiv an, geht drei Schritte auf sie zu, scharrt mit dem Huf und schüttelt unwillig den Kopf. Dieses Imponiergehabe müssen die Männer ernst nehmen. Aber was tun? Jeden Moment kann ein Angriff erfolgen. Es ist eine brenzlige Situation. Wenn auf der Waagerechten alle Wege verwehrt sind, dann bleibt nur die Hoffnung auf die Vertikale. Nach unten? Nein, sie sind ja keine Maulwürfe. Langsam, jedes Geräusch und hektische Bewegung vermeidend, beginnen sie rückwärts die Wand hochzukraxeln, um von den Rammböcken wegzukommen. Stück für Stück klettern sie mit der schweren Ausrüstung nach oben. Dabei behalten sie die Tiere im Blick, bis sie eine sichere Höhe erklommen haben. Die Moschusochsen können sie nun selbst mit geballter Wut nicht mehr erreichen. Durchatmen, Dankbarkeit dafür, dass es noch einmal gut gegangen ist.
    Ein Unglück kommt selten allein, heißt es, und dies ist ein Tag, an dem dieses Sprichwort hätte geprägt werden können. Die Wiederkäuer halten sich direkt unter Jan Haft und Felix Pustal auf – drei Stunden lang. Als die Herde sich, endlich trollt, dämmert es bereits. Die beiden beeilen sich, die Felswand hinunterzuklettern. Da: ein kleiner Fehltritt beim Abstieg, ein gedämpfter Aufschrei. Jan Haft hat sich den Knöchel verstaucht, kann nicht mehr laufen, geschweige denn seine 40 Kilo Gepäck, Kamera und Rucksack tragen. Zuerst überschwemmen Schmerzen sein Gelenk. Es kommt ihm so vor, als wäre sein Fuß abgebrochen. Kurz darauf spürt er ihn nicht mehr. Sein Kameraassistent Felix Pustal ist zum Glück ein sehr geübter Bergsteiger und topfit. Er schleppt das ganze Gepäck jeweils 300 bis 500 Meter am Stück, stellt es dann ab, kommt zurück und stützt Jan Haft bis zum Gepäckhaufen. Anschließend geht das Spiel wieder von vorne los. Gepäck schleppen, zurückkommen, Gepäck schleppen, zurückkommen, Jan Haft stützen. Glück im Unglück: Die Verletzung von Jan Haft stellt sich als eine Überdehnung der Bänder heraus, die nach ein paar Wochen ausgeheilt ist. Den Dreh aber musste das Filmteam vorzeitig abbrechen.
    Erneut machten widrige Umstände einen Strich durch Hafts Rechnung. Ihre Haut hatten sie gerettet, die Verletzung heilte ab, doch das eingegangene Risiko, die Kosten und der Zeitaufwand waren wieder einmal umsonst gewesen. Das sind Zeiten im Leben eines Tierfilmers, die hart sind und nicht nur körperlich schmerzen. Doch ein Jan Haft gibt nicht auf. Im nächsten Jahr versucht er es wieder.
Finale im Blutschnee
    Die ersten Sonnenstrahlen finden ihren Weg in die norwegische Hochebene. Auf der gegenüberliegenden Seite beleuchtet warmes rot-goldenes Morgenlicht die schneebedeckten Bergkuppen. Kein Wölkchen verdeckt den seidenblauen Himmel. Blutschnee bildet einen wunderschönen Farbkontrast zu der grün-gelben Landschaft aus Flechten und Moosen. Blutschnee entsteht durch
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