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Kein Schatten ohne Licht

Kein Schatten ohne Licht

Titel: Kein Schatten ohne Licht
Autoren: Michelle Guenter
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Mal, dass sie sich Zane zurückwünschte, doch es war das erste Mal, dass sie diesen Wunsch sich selbst gegenüber zuließ. Zane hatte immer gewusst, was zu tun war... Aber er war nicht da, hatte sie und die Schattenkrieger allein gelassen. Und so war sie auf sich gestellt.
    „ Wie viele...“, begann sie und musste abbrechen, als ihre Stimme versagte. Ein erstickter Ton verließ ihre Kehle und sie schlug ihre Hand vor den Mund. Erneut versuchte sie, ruhig zu atmen, ein und aus, immer und immer wieder. Irgendwann hatte sie genug Kraft, um wenigstens ihre Frage beenden zu können. „Wie viele Geiseln haben sie?“
    „ Wir wissen es nicht“, antwortete Frederick. „Aber es werden sicherlich mehr als 70 sein.“
    „ 70?“ Ein Ächzen löste sich von Melicas Lippen. 70 Menschen! 70 arme, unschuldige Menschen, die nichts falsch gemacht hatten, außer zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein! 70 Menschen, die ohne den kleinsten Hintergedanken eine einfache Synagoge besuchen wollten! Vielleicht waren sogar Kinder dabei, Jugendliche, Menschen, denen noch alle Chancen offen standen, Menschen, auf die das Leben wartete und nicht der Tod!
    „ Ich kann das nicht, ich...“, stammelte Melica, schüttelte den Kopf. „Wir müssen auf Gregor warten. Er muss entscheiden, was wir machen sollen.“
    Sie war so unleugbar verlogen. Melica wusste es und hasste sich selbst dafür. War sie nicht normalerweise immer gegen Gregor gewesen, hatte schon aus Prinzip gegen jede seiner Entscheidungen protestiert und war einfach immer anderer Meinung gewesen? Und jetzt? Kaum wurde es ernst, verkroch sie sich hinter ihm, kauerte sich hinter seinen Entscheidungen zusammen wie ein feiges, erbärmliches Huhn! Sie war bedauernswert.
    „ Aber so viel Zeit haben wir nicht!“ Timon starrte sie eindringlich an. „Jede Stunde stirbt ein Mensch, Melica! Wir können jetzt nicht warten! Genau aus diesem Grund bin ich doch erst hierher gekommen! Ich will helfen, etwas bewirken! Doch das können wir nicht, wenn wir uns vor Entscheidungen drücken und sie auf andere abwälzen!“
    „ Warum musst du es mir noch schwerer machen?“, stieß Melica hervor und ballte ihre Hände zu Fäusten. „Verdammt, Timon! Was soll ich denn machen? Dort hinfahren und rufen „Hey Diana – hier bin ich!“? Ich weiß doch noch nicht einmal, wo genau dieses Djerba überhaupt liegt! Selbst wenn ich es wüsste... wie soll ich dahin kommen? Und überhaupt... du glaubst doch nicht etwa wirklich, dass es irgendeinen Unterschied machen würde? Diana würde diese Menschen doch trotzdem töten! Gott, ich hab keine Ahnung, was ich machen soll!“ Sie schwieg für wenige Augenblicke und fügte dann trotzig hinzu: „Außerdem verstehe ich nicht, warum ausgerechnet ich irgendetwas tun muss. Die Polizei oder was auch immer es dort in Djerba gibt wird doch viel besser wissen, was zu tun ist.“
    „ Im Gegensatz zu dir haben die aber gar keine Möglichkeit, auf die Forderung einzugehen“, widersprach Timon sofort. „Du bist es, die Diana will!“
    Mit einem Mal bereute Melica es zutiefst, sich für Timon eingesetzt zu haben. Es wäre viel besser gewesen, wenn sie ihn bei ihrer Mutter gelassen hätte. Vielleicht hätte er sogar noch ein paar Mal den Toaster gegen den Kopf geschleudert bekommen. Wäre doch schön gewesen. Ihr hätte es jedenfalls gefallen. Denn so müsste sie sich nicht der Wahrheit stellen, müsste sich nicht anhören, was sie selbst schon wusste.
    „ Du machst es dir damit verdammt leicht, weißt du?“ Wow. Melica hätte Schauspielerin werden sollen. Obwohl sie im Inneren ihre eigene, ganz persönliche Hölle durchwanderte, klang ihre Stimme ganz ruhig. Erschreckend ruhig. „Es ist einfach zu sagen, was andere tun sollen, wenn man nicht selbst derjenige ist, dessen Leben bedroht wird, nicht wahr? Weißt du, warum ich mich dazu entschieden habe, dir eine Chance zu geben? Ich habe dich ins Antrum gelassen, weil du mich an mich selbst erinnert hast. Du bist unsagbar stur, ehrlich und weißt genau, was du willst. Und genauso wie ich siehst du nur, was das Beste für dich selbst ist. Wir beide sind unvorstellbar egoistisch. Wenn du an meiner Stelle wärst, wenn Diana dich wollte und nicht mich – glaubst du, ich hätte verstanden, warum du nicht gehen willst? Ich hätte keinen Gedanken daran verschwendet! Doch nun bin ich diejenige, die vielleicht sinnlos sterben muss. Du sagst, dass du Diana kennst. Dann weißt du auch, dass sie diese Menschen dort auch dann
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