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Kein Paar wie wir

Titel: Kein Paar wie wir
Autoren: Eberhard Rathgeb
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uns einen Computer kauften. In unserem Alter.«
    Wozu, dachte sie, brauchen wir beiden alten Frauen einen Computer. Noch kann ich laufen. Noch gehe ich auf die Straße.
    Sie hatten ein Telefon, sie hörten Radio.
    »Wir haben nie einen vermisst«, stimmte ihr Ruth zu.
    »Auch keinen Fernseher.«
    »Das Leben ist zu kurz, um es vor einem Fernseher zu verbringen«, sagte Ruth.
    Wir hören täglich Nachrichten, dachten sie. Wir sitzen in unserem Bunker und hören, was draußen vor sich geht. Die Deutsche Welle. Man muss wissen, was um einen herum passiert. Man kann sich nicht vor der Welt abschotten. Wer nichts weiß, kann sich nicht vorsehen. Sie werden das Land ruinieren.
    Ruth blickte auf ihre weichen Hände, die kraftlos neben dem Teller lagen, dann sah sie ihre Schwester an.
    Ohne sie, dachte Ruth, wüsste ich nicht weiter. Der Ring ist ein Erbstück. Nach uns kommt nichts. Niemand. Es wird alles verloren gehen. Wir werden entrümpelt. Wir sollten die guten Sachen vorher verschenken. Aber an wen? Die Bilder. Der Schmuck.
    »Das Fernsehprogramm ist schlecht«, sagte Vika und wischte mit der Hand die Brotkrümel zusammen, die neben ihren Teller gefallen waren.
    Zuhause hatten wir eine Tischbürste, dachte sie. Wir schüttelten die schweren Tischdecken nicht aus, sondern bürsteten die Krümel mit einer Tischbürste weg. Eine silberne Tischbürste.
    »Seit Jahren haben wir nicht mehr ferngesehen«, sagte Ruth. Ihre Stimme klang belegt.
    »Haben wir etwas verpasst?«, fragte Vika triumphierend.
    Was ist mit ihrer Stimme, dachte sie. Sie darf sich nicht erkälten. Eine Lungenentzündung in unserem Alter ist tödlich. Die Heiserkeit kommt vom Ventilator. Wir sollten ihn nicht so oft anmachen.
    »Nichts haben wir verpasst«, sagte Ruth.
    Sie strich sich über das Haar. Die Armreifen klapperten.
    Erbstücke, dachte sie.
    »Möchtest du noch ein Toastbrot?«, fragte Vika und reichte ihr den Korb.
    »Ja«, sagte Ruth.
    »Und noch eine Tasse Tee?«
    »Ja, schenk mir bitte noch eine Tasse Tee ein.«
    Jeden Tag fragte sie ihre Schwester, ob sie noch ein Toastbrot essen und noch eine Tasse Tee trinken wolle. Immer sagte Ruth, ja, sie wolle noch eine Tasse Tee trinken und noch ein Toastbrot essen, und Vika reichte ihr den Brotkorb und schenkte ihr Tee ein. Was auch immer sie machten, sie hatten es schon einmal gemacht. Nur die Nachrichten waren neu. Die beiden Schwestern kannten einander gut, sie würden sich nicht mehr ändern, bei ihnen blieb alles beim Alten. Aber die Welt draußen bewegte sich, und oft ängstigten sie sich vor der Unruhe, die sich in ihnen ausbreitete, wenn sie Nachrichten hörten. Dann waren sie froh, drinnen zu sein, in ihren vier Wänden. Zu viel Bewegung ging über ihre Kräfte.
    »Tee ist viel bekömmlicher als Kaffee«, sagte Vika, während sie sich auf dem Stuhl zurechtrückte. Sie stütze sich mit dem Ellbogen auf dem Tisch ab, zog sich auf diese Weise in die Höhe, als befürchtete sie, unter dem Tisch zu verschwinden.
    »Gut, dass wir keinen Kaffee trinken«, bestätigte Ruth.
    »Seit Jahren trinken wir keinen Kaffee.«
    Es ist alles eine Frage der Gewohnheit und der Disziplin, dachte Vika. Man darf sich nicht gehen lassen, sonst verlottert man.
    »Wegen des Herzens.«
    »Wir essen auch keine Butter«, sagte Vika.
    Margarine zum Frühstück, Olivenöl für den Salat, dachte sie.
    »Wegen des Cholesterins«,sagte Ruth.
    Sie aßen und schwiegen.
    Wir sind gesund, dachte Vika. Noch sind wir gesund. Wir sind alt, aber gesund. Wir passen auf uns auf, ich passe auf uns beide auf. Man muss auf sich achtgeben, langsam essen, häufig kauen. Was hastig gemacht wird, das misslingt. Jedes Ding braucht seine Zeit. Wir sind vernünftig, wir können unseren Kopf gebrauchen, wir haben etwas gelernt, uns kann man nichts so leicht vormachen. Wir unterschreiben nur, was wir genau studiert haben. Ich zähle das Geld nach, das ich beim Einkaufen zurückerhalte. Wir lesen Zeitung.
    »Wir wurden sofort in die englische Schule geschickt«, sagte sie.
    Ein Glück, dachte sie, dass wir in die englische Schule gingen. Wo hätten wir besser Englisch lernen können als dort.
    »Der Vater«, ergänzte Ruth, »verbot uns, in die deutsche Schule zu gehen. Er ahnte, was kommen würde.«
    Nicht zu den Deutschen, nicht zu den Nazis, sagte er, dachte sie. Wir sprachen kein Wort Englisch, aber wir gingen sofort in die englische Schule. Recht hat er getan, uns dorthin zu schicken.
    »Die englische Schule war die beste«, sagte Vika.
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