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Kein Öl, Moses

Kein Öl, Moses

Titel: Kein Öl, Moses
Autoren: Unbekannter Autor
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nicht.« Auch mein Vater wies diese Anschuldigung, als ich sie zu Hause aufs Tapet brachte, entschieden zurück, und da ich über sein Tun und Lassen ziemlich genau unterrichtet war, sah ich keinen Anlaß, an der Wahrheit seiner Worte zu zweifeln. Wenn er in eine Kreuzigung verwickelt gewesen wäre, hätte ich es bestimmt gewußt. Ebenso konnten sich meine sämtlichen Onkel auf Befragen mit einem einwandfreien Alibi ausweisen. Keiner von ihnen hatte jemals mit Pontius Pilatus gesprochen. Aber was half s. Ich mußte mich damit abfinden, daß das Weihnachtsfest nichts für mich war, und das kränkte mich tief.
    Wie jede jüdische Neurose wurde auch diese von mir überwunden - übrigens nicht nur von mir, sondern von allen Juden, die nach Israel einwanderten. Hier, so könnte man sagen, endete die Zusammenarbeit zwischen uns und den übrigen Völkern der Erde, eine Zusammenarbeit von 1948 Jahren Dauer, in deren Verlauf wir an die Welt im allgemeinen und an die Päpste im besonderen zahllose Ansuchen gerichtet hatten, unsere Schuld an der Kreuzigung Christi für hinfällig zu erklären oder andernfalls eine haltbare Begründung beizubringen, warum ein so lange zurückliegendes Ereignis den heutigen Juden angelastet werden sollte. Die Bürger des heutigen Judenstaates wollen jedenfalls nichts mehr davon wissen.
    Diese neuartige, von historischen Emotionen völlig freie Einstellung zeigte sich unter anderem darin, daß das erfolgreiche religiöse Musical »Jesus Christ Superstar« in unserem Land verfilmt werden konnte, mit offizieller Unterstützung durch die israelischen Behörden und unter Mitwirkung einer Reihe israelischer Schauspieler. Das ist um so bemerkenswerter, als das genannte musikalische Passionsspiel - eine Mischung aus dem Reich Gottes mit den Rolling Stones - nicht umhin kann, auf jüdische Hühneraugen zu treten, wie es ja auch unmöglich wäre, den Auszug aus Ägypten in Szene zu setzen, ohne die heutigen Nachkommen Pharaos zu verletzen. Einzig der große Regisseur Cecil B. de Mille erregte mit seinem Film »Die Zehn Gebote« nirgends Anstoß. Wir allerdings, die wir auf dem Aufnahmegelände leben, halten uns lieber an das Buch, das der Verfilmung zugrunde liegt.
    Als ein weiteres Beispiel für den fundamentalen Stimmungswandel, der durch die Existenz des Staates Israel bewirkt wurde, könnte man einen Landarbeiter von einem in der Nähe Nazareths gelegenen Kibbuz heranziehen. Dieser knorrige Bauersmann denkt nicht daran, sich immer wieder für etwas zu entschuldigen, was sich vor nahezu zwei Jahrtausenden auf dem jetzt von ihm beackerten Boden zugetragen hat. Im Gegensatz zu den nervösen, in der Zerstreuung lebenden Juden, die nicht müde werden, in den Hollywood-Fassungen des Neuen Testaments die Möglichkeit antisemitischer Mißverständnisse aufzuspüren und anzuprangern, reagiert der in Israel geborene Sabra auf Kunstwerke a la »Superstar« mit heiterer Nachsicht. Denn er empfindet weder sich selbst noch seine Stammesvorfahren als sozusagen weiße Neger, die - sei's auf der Bühne, sei's auf der Filmleinwand - zwecks Schonung ihrer Minderwertigkeitsgefühle nur im vorteilhaftesten Licht gezeigt werden dürfen. Er ist, anders als mein Vater und meine Onkel, mit Vergnügen bereit, für seine jüdische Vergangenheit einzustehen, und zwar auf ungefähr folgender Basis:
    »Nun ja, es kann schon sein, daß unsere alten Priester nicht damit einverstanden waren, was dieser großartige junge Rabbi aus Nazareth damals gepredigt hat. Es kann schon sein, daß sie ihn für einen gefährlichen Reformer gehalten und den römischen Gouverneur ersucht haben, strenge disziplinarische Maßnahmen gegen ihn zu ergreifen. Aber das alles war doch eine interne Auseinandersetzung, eine Art jüdische Familienangelegenheit. Wenn Sie wünschen, nehme ich die Schuld daran auf mich. Nur möchte ich Sie bitten, dann wenigstens die anderen Juden endlich in Ruhe zu lassen. Einverstanden?«
    Es wäre an der Zeit, daß auch die übrige Welt den Vorfall von diesem Gesichtspunkt aus zu betrachten beginnt. Und das jetzt bevorstehende Weihnachtsfest, das den Staat Israel in der schwersten und einsamsten Stunde seiner Existenz antrifft, wäre vielleicht eine gute Gelegenheit für die Welt, sich darüber klarzuwerden, was für den einfachen Kibbuznik aus Nazareth seit jeher außer Zweifel steht: daß nämlich Jesus und alle seine Schüler Juden waren.
    Der Schreiber dieser Zeilen glaubt an ein göttliches Prinzip, das im Geheimnis des
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