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Kein Land für alte Männer

Kein Land für alte Männer

Titel: Kein Land für alte Männer
Autoren: Cormac McCarthy
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nichts. Ich wünschte, ich wüsste was. Vielleicht bild ich mir das aber auch bloß ein.
Er ist fast so was wie ein Geist.
Ist er fast so was, oder ist er einer?
Nein, er ist irgendwo da draußen. Ich wünschte, er war’s nicht. Aber er ist es.
Er hat genickt. Wenn er ein Geist wäre, müssten Sie sich keine Gedanken um ihn machen.
Ich hab ihm zugestimmt, aber seither hab ich drüber nachgedacht, und ich glaub, die Antwort auf seine Frage lautet, dass, wenn man auf der Welt bestimmten Dingen begegnet, Beweisen für die Existenz von bestimmten Dingen, dann geht einem auf, dass es sehr gut sein kann, dass man dem nicht gewachsen ist, und ich glaub, das ist hier der Fall. Wenn man gesagt hat, dass es das wirklich gibt und dass es sich nicht nur im Kopf abspielt, dann bin ich mir überhaupt nicht sicher, was man damit eigentlich gesagt hat. Loretta hat übrigens eins gesagt. Sie hat sinngemäß gesagt, es war nicht meine Schuld, und ich hab gesagt, doch, das wäre es. Und auch darüber hatt ich nachgedacht. Ich hab gesagt, wenn man einen richtig scharfen Hund in seinem Garten hat, dann bleiben die Leute draußen. Und die sind nicht draußen geblieben.

Als er nach Hause kam, war sie nicht da, aber ihr Wagen stand in der Einfahrt. Er ging zum Stall hinüber und sah, dass ihr Pferd nicht da war. Er schickte sich an, zum Haus zurückzugehen, blieb dann jedoch stehen, weil ihm einfiel, dass sie verletzt sein könnte. Er ging in die Sattelkammer, nahm seinen Sattel herunter, trug ihn in die Stallgasse, pfiff nach seinem Pferd und sah zu, wie dessen Kopf mit spielenden Ohren über der Boxentür auftauchte.
Die Zügel in einer Hand, ritt er los und tätschelte dabei mit der anderen das Pferd. Im Reiten redete er mit dem Tier. Ist schön, draußen zu sein, was? Weißt du, wo sie hin sind? Schon gut. Mach dir keine Sorgen. Wir finden sie schon.
Vierzig Minuten später sah er sie, hielt an und beobachtete sie. Die Hände auf dem Sattelknauf gekreuzt, ritt sie, der untergehenden Sonne entgegenblickend, einen aus roter Erde bestehenden Kamm entlang in Richtung Süden, und ihr Pferd stapfte langsam durch den lockeren, sandigen Boden, dessen rote Staubfahne ihnen in der unbewegten Luft folgte. Das ist mein Herz da drüben, sagte er dem Pferd. Das war es immer. Zusammen ritten sie zum Warner’s Well, saßen ab und setzten sich unter die Pyramidenpappeln, während die Pferde grasten. Tauben flogen die Wassertanks an. Spät im Jahr. Die werden wir auch nicht mehr viel länger sehen.
Sie lächelte. Spät im Jahr, sagte sie.
Dir ist es zuwider.
Von hier wegzugehen?
Von hier wegzugehen.
Das geht schon.
Aber nur wegen mir, stimmt’s?
Sie lächelte. Tja, sagte sie. Wenn man erst mal ein bestimmtes Alter erreicht hat, dann gibt es so was wie eine gute Veränderung wohl nicht mehr.
Ich schätze, dann sind wir in Schwierigkeiten.
Wir kriegen das schon hin. Ich glaube, es wird mir gefallen, dass du zum Abendessen zu Hause bist.
Ich bin jederzeit gern zu Hause.
Ich weiß noch, als Daddy aufgehört hat zu arbeiten, da hat Mama zu ihm gesagt: Ich hab gesagt, in guten wie in schlechten Zeiten, aber vom Mittagessen hab ich nichts gesagt.
Bell lächelte. Ich wette, sie wünscht, er könnte nach Hause kommen.
Garantiert. Ich wünsche mir das übrigens auch.
Ich hätt das nicht sagen sollen.
Du hast nichts Falsches gesagt.
Das sagst du doch in jedem Fall.
Das ist mein Job.
Bell lächelte. Du würdest es mir nicht sagen, wenn ich unrecht hätte?
Nein.
Und wenn ich wollte, dass du’s tust?
Schwierig.
Er sah zu, wie sich die kleinen, gebänderten Wüstentauben unter dem stumpfen rosigen Licht niederließen. Stimmt das wirklich?, fragte er.
So ziemlich. Nicht ganz.
Ist das denn eine gute Idee?
Tja, sagte sie. Ganz gleich, worum es ginge, ich geh davon aus, dass du auch ohne meine Hilfe dahinterkommen würdest. Und wenn es etwas wäre, worüber wir verschiedener Meinung sind, dann würde ich da wohl drüber hinwegkommen.
Ich dagegen vielleicht nicht.
Sie lächelte und legte die Hand auf die seine. Lass gut sein, sagte sie. Es ist schön, einfach nur hier zu sitzen.
Ja, Ma’am. Das ist es wirklich.
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XII
    Ich wecke Loretta einfach dadurch auf, dass ich selber wach liege. Dann lieg ich da, und sie sagt meinen Namen. Als würd sie mich fragen, ob ich da bin. Manchmal geh ich dann in die Küche und hol ihr ein Ginger Ale, und dann sitzen wir da im Dunkeln. Ich wünschte, ich hätte ihre Gelassenheit. Die Welt, die ich gesehen hab, hat mich nicht zu
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