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Kein Land für alte Männer

Kein Land für alte Männer

Titel: Kein Land für alte Männer
Autoren: Cormac McCarthy
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Trog immer ziemlich voll war, und ich weiß noch, wie ich mal davor stehen geblieben und in die Hocke gegangen bin, ihn mir angeschaut und drüber nachgedacht hab. Ich weiß nicht, wie lange er schon da war. Hundert Jahre. Zweihundert. Man hat die Meißelspuren im Stein sehen können. Er war aus massivem Stein gehauen, ungefähr eins achtzig lang und vielleicht sechzig Zentimeter breit und etwa genauso tief. Einfach aus dem Stein rausgemeißelt. Und ich bin ins Nachdenken über den Mann gekommen, der das gemacht hat. Soviel ich weiß, hatte dieses Land bis dahin kaum mal eine längere Friedenszeit erlebt. Ich hab seither ein bisschen was über seine Geschichte gelesen und weiß gar nicht recht, ob es überhaupt je eine erlebt hat. Aber dieser Mann hatte sich mit einem Hammer und einem Meißel hingesetzt und einen Wassertrog gemeißelt, der zehntausend Jahre hält.
Warum? Woran hat er geglaubt? Jedenfalls nicht daran, dass sich nichts ändern würde, falls Sie das denken. So unbeleckt kann er nicht gewesen sein. Ich hab viel drüber nachgedacht. Ich hab drüber nachgedacht, nachdem ich dort weg bin und das Haus kaputtgeschossen war. Ich bin mir sicher, dass der Wassertrog noch da ist. Es hätte einiges gebraucht, um ihn vom Fleck zu bewegen, das kann ich Ihnen sagen. Ich denk also an ihn, wie er mit seinem Hammer und seinem Meißel da sitzt, vielleicht gerade mal ein, zwei Stunden nach dem Essen, ich weiß es nicht. Und ich muss sagen, das Einzige, was ich denken kann, ist, dass er so was wie ein Versprechen in seinem Herzen getragen hat. Und ich hab nicht die Absicht, einen steinernen Wassertrog zu meißeln. Aber ich war gern imstande, so ein Versprechen zu geben. Ich glaub, das war mir am allerwichtigsten.
Das andere ist, dass ich nicht viel über meinen Vater gesagt hab, und ich weiß, ich bin ihm nicht gerecht geworden. Ich bin mittlerweile fast zwanzig Jahre älter, als er geworden ist, also blick ich in gewisser Weise auf einen jüngeren Mann zurück. Er war als Pferdehändler auf Achse, da war er noch ein halbes Kind. Am Anfang, hat er mir erzählt, ist er ein-, zweimal kräftig gerupft worden, aber er hat gelernt. Einmal, hat er erzählt, hätt ein Händler den Arm um ihn gelegt, auf ihn runtergeschaut und gesagt: Kleiner, ich werd mit dir handeln, als hättest du überhaupt kein Pferd. Das heißt, manche Leute sagen einem tatsächlich, was sie mit einem vorhaben, und wenn einem so jemand unterkommt, hört man besser zu. Das ist bei mir hängengeblieben. Mit Pferden hat er sich ausgekannt, und er hat mit ihnen umgehen können. Ein paar hab ich ihn zureiten sehen, und er hat gewusst, was er tut. War ganz sanft zu den Pferden. Hat viel mit ihnen geredet. Mir hat er nie was eingebläut, und ich verdank ihm mehr, als ich gedacht hätte. In den Augen der Leute war ich wohl ein besserer Mensch. So mies sich das jetzt anhört. So mies es ist, so was zu sagen. Es muss schwer gewesen sein, damit zu leben. Von seinem Daddy gar nicht zu reden. Der hätte es nie zum Polizisten gebracht. Er ist, glaub ich, zwei Jahre aufs College gegangen, hat es aber nicht abgeschlossen. Ich hab viel weniger über ihn nachgedacht, als ich’s hätte tun sollen, und ich weiß, dass das nicht richtig ist. Nach seinem Tod hab ich zweimal von ihm geträumt. An den ersten Traum kann ich mich nicht mehr so gut erinnern, aber es ging darum, dass wir uns irgendwo in der Stadt getroffen haben, und er hat mir Geld gegeben, und ich hab’s, glaub ich, verloren. Aber der zweite Traum, das war so, als wären wir beide wieder in früheren Zeiten, und ich hab auf einem Pferd gesessen und bin nachts durch die Berge geritten. Hab diesen Gebirgspass überquert. Es war kalt, auf dem Boden hat Schnee gelegen, und er ist an mir vorbei- und immer weitergeritten. Hat kein Wort gesagt. Er ist einfach vorbeigeritten, und er war in eine Decke gehüllt und hatte den Kopf gesenkt, und wie er vorbeigeritten ist, hab ich gesehen, dass er Feuer in einem Horn trägt, so wie die Leute das früher gemacht haben, und sehen können hab ich das Horn wegen dem Licht innen drin. Hatte so ziemlich die gleiche Farbe wie der Mond. Und in dem Traum hab ich gewusst, dass er vorausreitet und irgendwo da draußen in der ganzen Dunkelheit und Kälte ein Feuer machen will, und wenn ich dann dorthin komme, ist er da. Und dann bin ich aufgewacht.
     
ENDE
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