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Kein Land für alte Männer

Kein Land für alte Männer

Titel: Kein Land für alte Männer
Autoren: Cormac McCarthy
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inzwischen glaub ich, es ist noch schlimmer. Das Land, das sie gehabt haben, war kaputt. Das ist es immer noch. Und daran waren nicht die Hippies schuld. Und auch nicht die Jungs, die da rübergeschickt worden sind. Mit achtzehn, neunzehn.
Er hat sich zu mir gedreht und mich angesehen. Und da, fand ich, hat er viel älter gewirkt. Seine Augen haben älter gewirkt. Er hat gesagt: Die Leute sagen immer, Vietnam hätte dieses Land vor die Hunde gebracht. Aber ich hab das nie geglaubt. Es war schon in schlechter Verfassung. Vietnam war bloß das Tüpfelchen auf dem i. Wir haben nichts gehabt, was wir ihnen nach da drüben hätten mitgeben können. Ich weiß nicht, ob sie so viel schlechter dran gewesen wären, wenn wir sie ohne Gewehre hingeschickt hätten. So kann man nicht in den Krieg ziehen. Man kann nicht ohne Gott in den Krieg ziehen. Ich weiß nicht, was passiert, wenn der nächste kommt. Beim besten Willen nicht.
Und das war auch schon so ziemlich alles, was gesagt worden ist. Ich hab mich dafür bedankt, dass er Zeit für mich gehabt hat. Der nächste Tag sollte mein letzter Tag im Amt sein, und ich hatte an vieles zu denken. Ich bin über Nebenstraßen zur I-1o zurückgefahren. Bin nach Cherokee runtergefahren und hab die 501 genommen. Ich hab versucht, die Dinge in die richtige Perspektive zu rücken, aber manchmal ist man ihnen einfach zu nah. Sich selbst so zu sehen, wie man wirklich ist, dauert ein Leben lang, und selbst da kann man sich noch täuschen. Und das ist etwas, wo ich mich nicht täuschen will. Ich hab darüber nachgedacht, warum ich Polizist hab werden wollen. Irgendwas in mir wollte immer verantwortlich sein. Hat mehr oder weniger darauf bestanden. Wollte, dass die Leute zuhören, wenn ich was sage. Aber irgendwas anderes in mir wollte einfach nur alle ins Boot zurückholen. Wenn ich versucht hab, irgendwas zu pflegen, dann das. Ich glaub, wir sind allesamt schlecht vorbereitet auf das, was kommt, und es ist mir gleich, welche Form es annimmt. Und ganz egal, was kommt, ich schätze, wir werden ‘s kaum schaffen, über die Runden zu kommen. Diese alten Leute, mit denen ich rede, wenn man denen hätte sagen können, dass es auf den Straßen unserer texanischen Städte mal Leute mit grünem Haar und Knochen in der Nase geben würde, die eine Sprache sprechen, die man gar nicht versteht, tja, dann hätten sie einem schlicht und einfach nicht geglaubt. Aber wenn man ihnen nun erzählt hätte, dass das ihre eigenen Enkel sind? Tja, das alles sind Zeichen und Wunder, aber es sagt uns nicht, wie’s dazu gekommen ist. Und es sagt uns auch nichts darüber, wie’s weiter werden wird. Irgendwo hab ich immer geglaubt, ich könnte wenigstens ein bisschen was reparieren, aber so kommt’s mir längst nicht mehr vor. Ich weiß nicht, wie ich mir vorkomme. Ich komme mir vor wie die alten Leute, von denen ich geredet hab. Und das wird auch nicht besser. Man verlangt von mir, dass ich für was eintrete, an das ich nicht mehr so glaube wie früher mal. Dass ich an was glaube, für das ich vielleicht nicht mehr so bin wie früher mal. Das ist das Problem. Und selbst als ich noch dafür war, ist es mir nicht gelungen. Jetzt hab ich erlebt, wie das Ganze sozusagen ans Licht gehalten worden ist. Hab erlebt, wie jede Menge Gläubige abgefallen sind. Ich bin gezwungen worden, es mir nochmal anzusehen, und ich bin gezwungen worden, mir mich selbst anzusehen. Zu welchem Ende, weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, ob ich Ihnen überhaupt noch raten würde, sich mit mir einzulassen, und solche Zweifel hatt ich noch nie. Wenn ich mehr Lebenserfahrung hab, dann hab ich einen Preis dafür bezahlt. Einen ziemlich hohen Preis. Als ich ihr gesagt hab, dass ich aufhöre, hat sie zuerst nicht mitgekriegt, dass ich das wörtlich meine, aber ich hab ihr gesagt, dass ich es so meine. Ich hab ihr gesagt, ich hoffe, dass die Leute in diesem County so vernünftig sind, nicht für mich zu stimmen. Ich hab ihr gesagt, dass es mir nicht richtig vorkommt, das Geld dieser Leute zu nehmen. Sie hat gesagt, das meinst du doch wohl nicht im Ernst, und ich hab ihr gesagt, dass ich jedes Wort ernst meine. Dabei haben wir aufgrund dieses Jobs noch sechstausend Dollar Schulden, und wie ich das regeln soll, weiß ich auch noch nicht. Tja, dann haben wir einfach eine Zeitlang zusammengesessen. Ich hätt nicht gedacht, dass es sie so aufregen würde. Schließlich hab ich einfach gesagt: Loretta, ich kann das nicht mehr machen. Und sie hat gelächelt
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