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Kein Land für alte Männer

Kein Land für alte Männer

Titel: Kein Land für alte Männer
Autoren: Cormac McCarthy
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Streukreis von knapp dreizehn Zentimetern. Die Stelle, von der aus er schießen wollte, lag knapp unterhalb einer langen Lavageröllhalde und damit sehr viel näher an seinem Ziel. Nur würde er bis dorthin fast eine Stunde brauchen, und die Antilopen entfernten sich beim Grasen von ihm. Ein Vorteil war immerhin, dass kein Wind wehte.
Am Fuß der Geröllhalde angelangt, richtete er sich langsam auf und hielt nach den Antilopen Ausschau. Sie hatten sich nicht weit von der Stelle wegbewegt, an der er sie zuletzt gesehen hatte, aber die Schussentfernung betrug noch immer sechs- bis siebenhundert Meter. Er studierte die Tiere durch das Fernglas. In der komprimierten Luft winzige Teilchen und Hitzeverzerrungen. Ein tiefliegender Dunst aus schimmerndem Staub und Pollen. Es gab keine andere Deckung, und zu einem zweiten Schuss würde er nicht kommen.
Er schob sich im Geröll zurecht, zog einen Stiefel aus, legte ihn auf die Steine, senkte den Vorderschaft der Büchse auf das Leder, entsicherte mit dem Daumen und visierte durch das Zielfernrohr.
Die Tiere hatten allesamt den Kopf gehoben und schauten in seine Richtung.
Verdammt, flüsterte er. Die Sonne stand hinter ihm, sodass sie keinen Lichtreflex im Glas des Zielfernrohrs gesehen haben konnten. Sie hatten schlicht und einfach ihn gesehen.
Die Büchse hatte einen auf knapp dreihundert Gramm eingestellten Abzug. Ganz behutsam zog er sie und den Stiefel zu sich heran, visierte abermals durch das Fernrohr und hielt ganz leicht über das Blatt des Tiers, das ihm am deutlichsten die Seite zukehrte. Er kannte den exakten Abfall der Geschossflugbahn pro hundert Meter. Unsicher war lediglich die Entfernung. Er legte den Finger in die Krümmung des Abzugs. Der Hauer, den er an einer Goldkette um den Hals trug, glitt auf die Steine an der Innenseite seines Ellbogens.
Trotz des schweren Laufs und der Mündungsbremse verriss die Büchse nach oben. Als er die Tiere wieder in die Optik des Zielfernrohrs holte, sah er sie dastehen wie zuvor. Die zehn Gramm schwere Kugel brauchte bis zu ihnen knapp eine Sekunde, der Schall dagegen doppelt so lang. Sie sahen zu der Staubfahne hin, die die einschlagende Kugel aufgewirbelt hatte. Dann gingen sie durch. Rannten aus dem Stand mit Höchstgeschwindigkeit hinaus auf den Barrial, während der langgezogene Knall des Büchsenschusses in der frühmorgendlichen Einsamkeit hinter ihnen herrollte, von den Felsen hinund hergeworfen wurde und über das offene Land zurückhallte.
Er stand da und sah ihnen nach. Dann hob er das Fernglas. Eines der Tiere war zurückgefallen und zog ein Bein nach. Wahrscheinlich, dachte er, war die Kugel vom Boden abgeprallt und hatte es an der linken Hinterhand getroffen. Er beugte sich vor und spuckte aus. Verdammt, sagte er.
Er sah ihnen nach, bis sie jenseits der felsigen Vorhügel im Süden verschwunden waren. Der fahl orangefarbene Staub, der im windstillen Morgenlicht hing, verblasste und verschwand dann ebenfalls. Still und leer lag der Barrial in der Sonne. Als wäre dort überhaupt nichts geschehen. Er setzte sich hin, zog seinen Stiefel an, hob die Büchse auf, ließ die leere Patronenhülse herausgleiten, steckte sie in seine Hemdtasche und verriegelte das Patronenlager. Dann hängte er sich die Büchse über die Schulter und marschierte los.
Er brauchte ungefähr vierzig Minuten, um den Barrial zu durchqueren. Dahinter stieg er einen langgezogenen vulkanischen Hang hinauf und folgte dem Kamm des Höhenzugs bis zu einem Aussichtsspunkt oberhalb der Landschaft, in der die Tiere verschwunden waren. Mit dem Fernglas suchte er langsam das Terrain ab. Ein großer, schwanzloser Hund mit schwarzem Fell durchquerte das Gelände. Moss beobachtete das Tier. Es hatte einen riesigen Kopf mit gestutzten Ohren und lahmte schwer. Es verhielt. Es blickte hinter sich. Dann ging es weiter. Er senkte das Fernglas und sah ihm nach.
Den Daumen unter den Schulterriemen der Büchse gehakt und den Hut in den Nacken geschoben, marschierte er weiter den Höhenzug entlang. Sein Hemdrücken war bereits schweißnass. In die Felsen dort waren Zeichnungen eingeritzt, die etwa tausend Jahre alt waren. Von Männern, die Jäger gewesen waren wie er.
Andere Spuren von ihnen gab es nicht.
Am Ende des Höhenzugs befand sich ein Felsrutsch, durch den ein holpriger Pfad abwärtsführte. Candelilla und Katzenklaue. Er setzte sich auf die Steine, stützte die Ellbogen auf die Knie und suchte mit dem Fernglas das Gelände ab. Etwa anderthalb Kilometer
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