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Kein Land für alte Männer

Kein Land für alte Männer

Titel: Kein Land für alte Männer
Autoren: Cormac McCarthy
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dem Handrücken den Zubringer zurück. In der Kammer befand sich eine Patrone, das Magazin enthielt jedoch nur noch zwei Schuss. Er schnupperte an der Mündung der Waffe. Er nahm das Magazin heraus. Hängte sich die Büchse über die eine und die Maschinenpistole über die andere Schulter, ging zu dem Bronco zurück und hielt das Magazin hoch, sodass der Mann es sehen konnte. Otra, sagte er. Otra.
Der Mann nickte. En mi bolsa.
Sprichst du Englisch?
Der Mann gab keine Antwort. Offenbar versuchte er, mit dem Kinn auf etwas zu deuten. Moss konnte zwei Magazine aus der Tasche der Segeltuchjacke ragen sehen, die der Mann trug. Er griff in die Fahrerkabine, nahm die Magazine an sich und trat zurück. Geruch von Blut und Fäkalien. Er führte eines der vollen Magazine in die Maschinenpistole ein und steckte die anderen beiden in die Tasche. Agua, cuate, sagte der Mann.
Moss suchte das umliegende Land ab. Ich hab’s dir doch gesagt, sagte er. Ich hab kein Wasser.
La puerta, sagte der Mann.
Moss sah ihn an.
La puerta. Hay lobos.
Hier gibt’s keine lobos.
Si, si. Lobos. Leones.
Moss stieß mit dem Ellbogen die Tür zu.
Er ging zum ersten Wagen zurück und betrachtete die offene Beifahrertür. Sie wies keine Einschusslöcher auf, aber es war Blut auf dem Sitz. Der Schlüssel steckte noch, und er griff hinein, drehte ihn und betätigte dann den Fensterheber. Langsam knirschte die Scheibe aus dem Schlitz nach oben. Sie wies zwei Einschusslöcher und auf der Innenseite ein feines Gesprüh getrockneten Blutes auf. Er stand da und dachte darüber nach. Er betrachtete den Boden. Blutflecken im Lehm. Blut im Gras. Er blickte die Fahrspur entlang nach Süden durch die Caldera, in die Richtung, aus der der Wagen gekommen war. Es musste noch einer übrig sein. Und das war nicht der um Wasser bittende cuate in dem Bronco.
Er ging hinaus auf das Schwemmland und schlug einen weiten Bogen, um festzustellen, wo die Reifenspur im dünnen Gras in der Sonne sichtbar war. Knapp dreißig Meter weiter südlich suchte er nach Hinweisen. Er nahm die Spur des Mannes auf und folgte ihr, bis er auf Blut im Gras stieß. Dann noch mehr Blut.
Du kommst nicht weit, sagte er. Du glaubst vielleicht, du schaffst es. Aber du irrst dich.
Er verfolgte die Spur nicht weiter, sondern steuerte, die Maschinenpistole entsichert unter dem Arm, den höchstgelegenen Punkt im Gelände an, den er sehen konnte. Mit dem Fernglas suchte er nach Süden hin das Terrain ab. Nichts. Er nestelte an dem Hauer auf seiner Hemdenbrust. Jetzt, sagte er, liegst du wahrscheinlich irgendwo im Schatten und beobachtest den Weg, den du gekommen bist. Und die Chancen, dass ich dich sehe, bevor du mich siehst, stehen praktisch bei null.
Er ging in die Hocke, stützte die Ellbogen auf die Knie und suchte mit dem Fernglas die Felsen am oberen Ende des Tals ab. Er setzte sich im Schneidersitz auf den Boden, überprüfte das Terrain langsamer, senkte dann das Fernglas und saß einfach nur da. Lass dir hier draußen, sagte er, bloß nicht aus Dämlichkeit den Arsch wegschießen. Bloß nicht.
Er drehte sich um und schaute zur Sonne hin. Es war ungefähr elf Uhr. Wir wissen ja noch nicht mal, ob sich das Ganze gestern Abend abgespielt hat. Hätte auch vor zwei Tagen gewesen sein können. Vielleicht sogar vor drei.
Hätte aber auch gestern Abend gewesen sein können.
Ein leichter Wind war aufgekommen. Er schob sich den Hut in den Nacken, wischte sich mit seinem Halstuch die Stirn und steckte es wieder in die Hüfttasche seiner Jeans. Er blickte über die Caldera auf die niedrige Felsenkette am östlichen Rand.
Was verletzt ist, geht niemals bergauf, sagte er. Das passiert einfach nicht.
Der Anstieg zum Kamm des Höhenzugs war anstrengend, und als er oben ankam, war es fast Mittag. Weit im Norden konnte er die Silhouette eines Sattelzugs durch die schimmernde Landschaft gleiten sehen. Fünfzehn Kilometer. Vielleicht zwanzig. Der Highway 90. Er setzte sich auf den Boden und suchte mit dem Fernglas das neue Terrain ab. Dann hielt er inne.
Am Fuß eines Felsrutsches am Rand der Bajada sah er ein kleines Stück von etwas Blauem. Er beobachtete es lange Zeit durch das Fernglas. Nichts rührte sich. Er musterte das umliegende Land. Dann beobachtete er weiter das Stück Blau. Es verging fast eine Stunde, ehe er aufstand und sich an den Abstieg machte.
Der Tote lag an einem Felsen, zwischen den Beinen im Gras eine Government .45 Automatic mit gespanntem Hahn. Er hatte gesessen und war zur Seite gekippt.
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