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Kein Land für alte Männer

Kein Land für alte Männer

Titel: Kein Land für alte Männer
Autoren: Cormac McCarthy
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sich setzten. Mal zwölf. Das konnte er im Kopf ausrechnen. Zwei Komma vier Millionen. Alles gebrauchte Scheine. Er saß da und betrachtete das Geld. Du musst das ernst nehmen, sagte er. Du kannst das nicht als glücklichen Zufall behandeln.
Er klappte den Koffer zu, schloss die Schnallen, schob ihn unter das Bett, stand auf und blickte zum Fenster hinaus auf die Sterne über dem felsigen Steilhang nördlich der Stadt. Totenstille. Nicht einmal ein Hund. Aber er war nicht des Geldes wegen aufgewacht. Bist du tot da draußen?, sagte er. Ach was, du bist nicht tot.
Sie wachte auf, während er sich anzog, drehte sich im Bett um und sah ihm zu.
Llewelyn? Was machst du?
Ich zieh mich an.
Wo willst du hin?
Raus.
Wo willst du hin, Baby?
Hab was vergessen. Ich bin bald wieder da.
Was hast du vor?
Er zog die Schublade auf, nahm die .45er heraus, ließ das Magazin herausschnappen, überprüfte es, führte es wieder ein und steckte sich die Pistole in den Hosenbund. Er drehte sich um und sah sie an.
Was ich vorhab, ist so dämlich, dämlicher geht’s nicht, aber ich tu’s trotzdem. Wenn ich nicht wiederkomme, sag Mutter, dass ich sie liebe.
Deine Mutter ist tot, Llewelyn.
Dann sag ich’s ihr eben selber.
Sie setzte sich im Bett auf. Du machst mir richtig Angst, Llewelyn. Bist du in irgendwelchen Schwierigkeiten?
Nein. Schlaf weiter.
Ich soll weiterschlafen?
Ich bin bald wieder da.
Zum Teufel mit dir, Llewelyn.
Er trat zurück in die Tür und sah sie an. Und wenn ich nun nicht zurückkäme? Sind das deine letzten Worte? Sie schlüpfte in ihren Bademantel, während sie ihm den Flur entlang in die Küche folgte. Er holte einen leeren Vierliter-Plastikkanister unter der Spüle hervor und füllte ihn am Wasserhahn. Weißt du, wie spät es ist?, fragte sie.
Ja. Ich weiß, wie spät es ist.
Baby, ich will nicht, dass du gehst. Wohin willst du überhaupt? Ich will nicht, dass du gehst.
Tja, Liebling, da sind wir völlig einer Meinung, ich will nämlich auch nicht. Ich bin bald wieder da. Warte nicht auf mich.
An der Tankstelle hielt er unter den Lichtern, stellte den Motor ab, nahm die Übersichtskarte aus dem Handschuhfach, entfaltete sie auf dem Sitz und studierte sie. Schließlich markierte er die Stelle, wo er die Pick-ups vermutete, und zeichnete eine querfeldein verlaufende Route zu Harkles Viehgatter. Er hatte gute Geländereifen aufgezogen und zwei Reserveräder auf der Ladefläche, aber das war schwieriges Gelände. Er betrachtete die Linie, die er gezeichnet hatte. Dann beugte er sich vor, studierte das Terrain und zeichnete eine zweite Linie. Danach saß er einfach nur da und betrachtete die Karte. Als er den Motor anließ und auf den Highway hinausfuhr, war es Viertel nach zwei Uhr morgens, die Straße war verlassen, und das Autoradio war in diesem entlegenen Landstrich so tot, dass von einem Ende des Bandes bis zum anderen nicht einmal atmosphärische Störungen zu hören waren.
Er hielt am Gatter, stieg aus, öffnete es, fuhr hindurch, stieg aus, schloss es wieder und lauschte einen Moment lang der Stille. Dann stieg er wieder ein und fuhr auf dem Viehweg Richtung Süden.
Er beließ es beim Zweiradantrieb und fuhr im zweiten Gang. Das Licht des nicht aufgegangenen Mondes vor ihm beschien die dunklen Hügel wie Rampenlichter einen Theatervorhang. Ein Stück vor der Stelle, an der er am Morgen geparkt hatte, bog er auf einen alten Fuhrweg ab, der ostwärts über Harkles Land führte. Als der Mond schließlich aufging, hing er fahl, geschwollen und verformt zwischen den Hügeln und erleuchtete das ganze umliegende Land, sodass Moss die Scheinwerfer ausschalten konnte.
Eine halbe Stunde später hielt er an, ging den Kamm einer Erhebung entlang und blickte nach Südosten über das Land. Der Mond hoch am Himmel. Eine blaue Welt. Sichtbare Wolkenschatten glitten über das Schwemmland. Wurden an den Hängen schneller. Die Beine vor sich gekreuzt, setzte er sich in das Lavagestein. Keine Kojoten. Nichts. Nicht mal für einen mexikanischen Rauschgifthändler. Ja. Tja. Jeder ist halt irgendwas. Zum Wagen zurückgekehrt, bog er von der Fahrspur ab und orientierte sich am Mond. Am oberen Ende des Tals fuhr er am Fuß eines vulkanischen Vorsprungs entlang und wandte sich wieder Richtung Süden. Er hatte ein gutes Gedächtnis für Landschaften. Er durchquerte Gelände, das er früher am Tag von dem Höhenzug aus erkundet hatte, dann hielt er erneut an und stieg aus, um zu lauschen. Zum Wagen zurückgekehrt, entfernte er die
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