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Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Titel: Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
Autoren: T Wolf
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Tiefe katapultierten.
    »Ich!«, sagte Hanne, setzte ihren Becher ab und sah mich an wie ein Honigkuchenpferd, das jetzt bereit war, Gratulationen entgegenzunehmen.
    Und als hätten sie sich abgesprochen, rief mich noch in der gleichen Woche Melli an.
    Wir hatten uns kennengelernt, als ich vor sieben Jahren bei 99,9 anfing zu moderieren. Sie fiel mir gleich auf, weil sie überdurchschnittlich nett war – für eine Assistentin der Geschäftsführung. Vor solchen Frauen musste man sich normalerweise in Acht nehmen. Melli war anders. Sie war eine Frohnatur – und leider etwas zu gut in ihrem Job. Nach einem halben Jahr wechselte sie den Sender, die Gehaltsklasse und änderte damit schließlich ihr Leben. Wir arbeiteten nicht mehr zusammen in derselben Firma, aber dafür trafen wir uns regelmäßig. Bis zu diesem Anruf.
    Ihr Freund war Pilot und lebte in den USA, und Melli hatte einen Plan: Sie wollte alle Sachen packen und zu ihm fliegen, bevor man ihr Bäuchlein am Airport entdecken und sie nicht einreisen lassen würde. Die Kündigungen für ihren Job und die Wohnung hatte sie schon geschrieben, jetzt war der Freundeskreis dran. Eine Frist hielt sie nicht ein. Sie nahm ihren gesamten Jahresurlaub und verschwand mit drei Koffern.
    Irgendwann, als ich sie schon fast vergessen hatte, erhielt ich eine Mail von ihr. Sie habe jetzt einen Sohn und eine Greencard. Worauf sie stolzer war, blieb unklar. Ich gratulierte – zum Sohn – und fragte, wie es ihr so gehe.
    Anscheinend war ich die Erste, die diese Frage ernsthaft gestellt hatte, seitdem sie da drüben war. Denn wer »How are you?« fragte, wollte in den seltensten Fällen eine detaillierte Antwort. Die bekam ich jetzt aber, und da hatte sich einiges angestaut. Unter anderem die bittere Wahrheit über die Risiken und Nebenwirkungen einer Schwangerschaft. Dazu gehöre, schrieb Melli, das Versagen jeglicher Hirnströme während der Stillzeit. Damit sie wusste, welche Brust sie dem kleinen Überflieger zuletzt gegeben hatte, wurde eine Wäscheklammer an die jeweilige Seite des Still-BHs geklemmt. Sah doof aus, half aber. Und dann fing das mit den gelben Zetteln an. Irgendwann waren im ganzen Haus Post-it-Zettel verteilt, und als sie schließlich auch im Bett klebten, bekam ihr Mann einen Anfall. Die Zettel hatte sie sich inzwischen abgewöhnt – ihren Mann übrigens auch. Der hatte sozusagen den Abflug gemacht.
    Mein Gott, war ich froh, dass ich nicht stillte.
    *

    Es gab Phasen im Leben, deren Ende absehbar war. In meinem Fall war kein Ende in Sicht. Es war die »Alle kriegen Kinder nur ich nicht«-Phase«. Dazu muss ich ergänzend sagen: Und das war auch gut so. Dass ich keines kriegte, meine ich. Im Moment. Und überhaupt. Davon abgesehen, dass es derzeit auch keinen Mann gab, den man ja dazu benötigte, hatte ich auch gar keine Lust, mich ununterbrochen mit den Problemen der Befruchtung, dem Verhindern von Schwangerschaftsstreifen und dem »Jedes Kind kann schlafen lernen«-Programm auseinanderzusetzen. Das Seltsame daran war nur: Ich hatte keine Wahl. Obwohl ich kein Kind bekam, machte ich doch letztendlich alles durch.
    Fast immer war ich es, die als Erste von den Schwangerschaften erfuhr, weil die Männer in den meisten Fällen gerade nicht oder gar nicht mehr erreichbar waren. Ich war es auch, die die Schüssel ans Bett brachte, wenn nach der Phase der Freude die Phase der Übelkeit begann.
    Und dank all dieser wundervollen Erfahrungen war mir eines klar: Ich wollte nicht komisch werden. Ich wollte nur eines: Charly Schönberg bleiben. Das fanden die anderen allerdings komisch.
    Dabei war es nicht so, dass ich Kinder nicht mochte. Ganz im Gegenteil. Die armen Dinger konnten ja nichts dafür, dass ihre Erzeuger mutierten und merkwürdig wurden. Ich wollte einfach nicht mein komplettes Leben eintauschen, denn ich war eigentlich ganz zufrieden mit meinem Leben. Eigentlich.
    Hinzu kam, dass ich keine große Freundin von Veränderungen war. Ich hatte gern alles so, wie es immer war. Das läge an meinem Aszendenten, hat meine Mutter mal gesagt. Ehrlich gesagt, war es mir egal, woran es lag. Ich mochte keine Überraschungen und probierte nicht gerne neue Sachen aus. Ich fuhr ja nicht ohne Grund seit zwölf Jahren in den gleichen Club, um Urlaub zu machen. Übrigens nahm ich auch immer das gleiche Zimmer. Es sprach doch nichts dagegen, wenn man wusste, was einen erwartete, oder?
    Was einen erwartete, wenn man Kinder bekam, durfte ich ja zur Genüge studieren. Und
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