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Kein Entkommen

Kein Entkommen

Titel: Kein Entkommen
Autoren: Linwood Barclay
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konnten wir sicher sein, dass unserem Kleinen garantiert nichts zustoßen würde. Bei meinen Eltern gab es keine ausgefransten Stromkabel, keine giftigen Chemikalien, die er schlucken, und keine losen Teppichecken, über die er stolpern konnte. Mal abgesehen davon, dass ein Platz in einem Kinderhort um einiges kostspieliger gewesen wäre.
    »Mom hat mich vorhin angerufen«, sagte ich zu Jan. Es war kurz vor halb fünf. Wir hatten uns zu Hause getroffen, um Ethan gemeinsam in ihrem Jetta Kombi abholen zu können. »Sie meinte, diesmal hätte Dad sich selbst übertroffen.«
    Jan warf mir einen kurzen Blick zu. »Womit?«
    »Keine Ahnung. Anscheinend wollte sie mich noch ein bisschen auf die Folter spannen.« Ich hielt inne. »Übrigens, ich habe mit Reeves gesprochen. Wegen seiner Hotelrechnung in Florenz.«
    »Und? Hast du was rausbekommen?« Jan klang nur mäßig interessiert.
    »Ich habe einen anonymen Tipp erhalten. Von einer Frau, die ziemlich gut informiert war. Jetzt muss ich nur noch herauskriegen, welche anderen Mitglieder des Stadtrats sich bestechen lassen oder Geschenke von den Bossen der Firma annehmen, die hier ihren Knast bauen will.«
    »Und du hattest gedacht, nach Finleys Rücktritt würde hier wieder Ruhe einkehren.« Sie spielte auf unseren früheren Bürgermeister an, der sich mit einer minderjährigen Nutte eingelassen hatte, was bei den Bürgern unserer kleinen Stadt gar nicht gut angekommen war. Als Roman Polanski kann man sich einen solchen Ausrutscher durchaus erlauben und immer noch einen Oscar einheimsen, will man hingegen für den Kongress kandidieren, sollte man solche Dinge tunlichst unterlassen.
    »Tja, so ist das mit der Politik«, sagte ich. »Streicht ein korruptes Arschloch die Segel, steht das nächste halbe Dutzend Schlange, um sich den Posten unter den Nagel zu reißen.«
    »Aber bist du sicher, dass sie deine Story überhaupt drucken?«, fragte Jan.
    Ich blickte aus dem Fenster, ballte die Rechte zur Faust und trommelte mir rhythmisch auf den Oberschenkel. »Keine Ahnung.«
    Beim Standard hatte sich einiges geändert. Zwar gehörte die Zeitung immer noch den Russells – unsere Herausgeberin war eine Russell, und auch in der Redaktion und anderen Abteilungen tummelten sich diverse Mitglieder der Familie –, doch in den letzten fünf Jahren hatte sich das verlegerische Ethos gründlich gewandelt. Die Auflage ging weiter den Bach herunter, und der Standard kämpfte ums nackte Überleben. Früher hatten wir einen Korrespondenten in Albany beschäftigt, der direkt aus der Hauptstadt unseres Bundesstaats berichtete, inzwischen jedoch übernahmen wir nur noch die Informationen der Nachrichtenagenturen. Die wöchentlichen Buchseiten waren gekippt und auf einen läppischen Lesetipp am Ende der Lifestyle-Sektion heruntergefahren worden. Unser Hauskarikaturist, ein außergewöhnlich begabter Zeichner und Satiriker, war vor die Tür gesetzt und durch Agentur-Cartoonisten ersetzt worden, die landesweit agierten und alle möglichen Blätter belieferten; wahrscheinlich hatte keiner von ihnen je von Promise Falls gehört. Dann die Leitartikel: Früher hatten wir uns zwei pro Tag erlaubt, jeweils von hauseigenen Redakteuren verfasst. Nun druckten wir unter der Rubrik »Die Sicht der Presse« Auszüge aus denen anderer Blätter. Wir ließen uns das Denken von anderen abnehmen; Kommentare von internen Redakteuren gab es nur noch zwei-, dreimal die Woche.
    Unser Filmkritiker war eingespart worden. Seinen Job hatten freiberufliche Mitarbeiter übernommen. Unser Gerichtsreporter hatte ebenfalls seinen Hut nehmen müssen; mittlerweile berichteten wir nur noch von größeren Prozessen, immer vorausgesetzt, dass wir die Termine mitbekamen.
    Der alarmierendste Indikator unseres Niedergangs bestand jedoch darin, dass die verlegerische Leitung des Standard begonnen hatte, immer mehr redaktionelle Arbeit ins Ausland auszulagern. Ich hätte nicht geglaubt, dass so etwas möglich sein würde, aber als die Russells mitbekommen hatten, wie eine Zeitung in Pasadena auf diese Weise Kosten eingespart hatte, gab es für sie kein Halten mehr. Sie fingen mit dem Veranstaltungskalender an. Wieso sollten sie jemandem 20 Dollar pro Stunde für die Zusammenstellung irgendwelcher Termine bezahlen, wenn sie die nötigen Infos per E-Mail an irgendeinen Burschen in Indien schicken konnten, der den Job für sieben Dollar erledigte?
    Als die Sache funktionierte, begannen die Russells Lunte zu riechen. Heutzutage kann man
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