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Kein Entkommen

Kein Entkommen

Titel: Kein Entkommen
Autoren: Linwood Barclay
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fragte ich.
    »Er spielt mit seinem Leben!«, erwiderte Mom, nahm einen Topf aus der Spüle und stellte ihn aufs Abtropfgestell.
    »Was?«
    »Er ist drüben in der Garage. Lass dir mal sein neuestes Projekt zeigen.« Sie wandte sich zu Jan. »Wie war’s bei der Arbeit? Alles okay?«
    Ich ging durch den Nieselregen zur Garage, deren Doppeltür offen stand. Dads blauer Crown Victoria, eine der letzten großen Limousinen, die in Detroit gebaut worden waren, stand auf der rechten Seite, Moms fünfzehn Jahre alter Taurus in der Einfahrt. Die Rücksitze beider Autos waren mit einem Kindersitz für Ethan ausstaffiert.
    Dad machte gerade seine Werkbank sauber, als ich hereinkam. Eigentlich ist er größer als ich, aber da er sein halbes Leben in gebückter Haltung verbracht hat – am Schreibtisch oder über der Werkbank –, steht er meist mit hängenden Schultern da. Er hat immer noch volles Haar, was mich irgendwie beruhigt, auch wenn es mit knapp vierzig bereits zu ergrauen begonnen hatte.
    »Hey«, sagte er.
    »Mom meinte, du wolltest mir etwas zeigen.«
    »Die soll sich um ihren eigenen Kram kümmern.«
    »Also, was gibt’s?«
    Er machte eine wegwerfende Handbewegung – schwer zu sagen, ob es eine missbilligende oder resignierte Geste war. Doch als er die Beifahrertür des Victoria öffnete und etwas herausnahm, ging mir auf, dass er bereit war, mich in sein neuestes Projekt einzuweihen.
    Es waren mehrere Kartonstücke, alle etwa in DIN -A4-Größe, die wie diese Pappdinger in neuen Hemden aussahen. Dad bewahrte wirklich alles auf.
    Er reichte mir den kleinen Stapel. »Schau’s dir an.«
    Auf jedem Karton stand in fetten schwarzen Großbuchstaben ein kurzer Satz, darunter BLINKER DEFEKT ?, RÜCKLICHT KAPUTT !, SCHEINWERFER AUSGEFALLEN !, RASER !, STOPPSCHILD BEACHTEN ! und HANDY AUS !
    Dad hielt ein Schild mit der Aufschrift AUFFAHRUNFALL GEFÄLLIG ? in die Höhe. »Das hier musste ich größer schreiben, damit die Kerle es durchs Rückfenster lesen können. Aber wenn sie mir an der Stoßstange hängen, werden sie es ja wohl erkennen.«
    Ich starrte ihn sprachlos an.
    »Tausendmal habe ich mir schon gewünscht, diesen Verkehrsrowdys mal die Meinung zu geigen«, fuhr Dad fort. »Tja, und jetzt weiß ich auch, wie. Wenn mir einer auf den Geist geht, greife ich einfach nach dem richtigen Schild und mache ihm klar, wie verantwortungslos er sich im Straßenverkehr verhält.«
    »Hast du auch kugelsichere Scheiben einsetzen lassen?«, fragte ich.
    »Hmm?«
    »Sei vorsichtig, Dad. Du weißt, wie viele Leute Waffen dabeihaben.«
    »Du meinst, jemand könnte auf mich schießen?«
    »Betrachte das Ganze doch mal andersrum. Wie würdest du reagieren, wenn dir jemand so ein Schild unter die Nase halten würde?«
    Er musterte mich erstaunt. »Warum? Ich halte mich immer an die Verkehrsregeln.«
    »Stell es dir einfach mal vor.«
    Er schürzte die Lippen. »Wahrscheinlich würde ich versuchen, das Arschloch von der Straße abzudrängen.«
    Ich nahm die Schilder an mich, zerriss eins nach dem anderen in der Mitte und warf sie in den Mülleimer. Dad seufzte.
    In diesem Moment sah ich Jan mit Ethan aus dem Haus kommen.
    »Wir fahren«, sagte ich.
    »Weißt du, was dein Problem ist?«, sagte Dad. »Du bist nicht in der Lage, die Dinge klar und nüchtern zu sehen. So wie die Geschichte mit dem neuen Gefängnis. Promise Falls hat dringend eine Finanzspritze nötig.«
    »Klar. Aber wenn’s ums Geld geht, hätte ich noch eine bessere Idee, Dad. Was würdest du von einem Endlager für Atommüll halten?«
    Ich verabschiedete mich von ihm, eilte zu Jans Jetta und stieg ein. Während des gesamten Nachhausewegs starrte sie stur nach vorn, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen.
    »He«, sagte ich. »Alles okay?«
    Sie antwortete nicht, und auch als wir schließlich gemeinsam am Tisch saßen und zu Abend aßen, gab sie kaum einen Ton von sich.
    Meistens brachten wir Ethan gemeinsam ins Bett, doch an diesem Abend sagte sie irgendwann, sie gehe jetzt mit ihm hoch.
    Ich schlich mich hinter ihnen die Treppe hinauf und beobachtete durch den Türspalt, wie sie unseren Sohn zudeckte.
    »Weißt du, wer dich über alles liebt?«, sagte sie. »Mehr als alle anderen Menschen auf dieser Welt?«
    »Du?«, sagte Ethan mit seiner Kleinjungenstimme.
    »Genau«, flüsterte Jan. »Das darfst du nie vergessen.«
    Ethan schwieg, doch ich glaubte zu hören, wie sich sein Kopf auf dem Kissen bewegte.
    »Und falls irgendjemand etwas anderes behauptet,
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