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Kein bisschen Liebe

Kein bisschen Liebe

Titel: Kein bisschen Liebe
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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herrschaftlichen Hauses, das vor Jahren eingestürzt ist und verlassen wurde. Mit der Zeit hat es sich in eine imposante, stinkende Müllkippe verwandelt. Auf der anderen Seite ein unkrautbewachsenes Stück Garten. Dort parken sie ihren alten, abgehalfterten 55er Chevy. Der Wagen ist eine Schrottlaube, aber sie haben ihm einen Dieselmotor eingebaut, reparieren ihn unablässig und nötigen ihn, noch etwas weiterzulaufen. Sie lassen ihn nicht sterben.
    Es ist ein seltsamer Ort. Tagsüber sieht man wenig Leute. Die Touristen kommen nicht hierher. Es ist der verfallene Teil des Strandes. Nachts ist es ein sehr einsamer Ort. Dann gefällt es mir dort viel besser als am Tag. Mit Einbruch der Dunkelheit legt sich über alles eine Atmosphäre von Vernachlässigung, Verlassenheit und Leere. Nur ein leichter Wind weht und bringt einen Geruch nach Jod und Salz und das andauernde Rauschen der Wellen am Ufer. In regelmäßigen Abständen fliegen riesige Flugzeuge vorbei, aus Europa oder auf dem Weg dorthin. Sie fliegen sehr tief, und man hört das dumpfe Dröhnen der Turbinen.
    Die Lesben werkeln jeden Tag an ihrem Chevy herum. Sie können gar nicht mehr anders. Heute versuchen sie, die Bremstrommeln zu reparieren. Die Anführerin der Gruppe ist eine Ausländerin. Eine Frau zwischen vierzig und fünfzig, ziemlich kaputt. Sie sieht aus wie eine Hexe. Kleingewachsen, dürr und schwächlich.
    Am Spätnachmittag ging ich hinüber, um mich mit ihnen über alte Autos zu unterhalten. Auf die stehe ich auch. Mein Vater hat zeitweise damit gehandelt. Ich kannte sämtliche Details über diese amerikanischen Karossen und verstand mich hervorragend auf Reparaturen. Die Ausländerin musterte mich abschätzig und machte sich wieder an dem Chevy zu schaffen. Es war irgendetwas mit der Benzinpumpe. Die anderen kümmerten sich um die Bremsen. Ich unterhielt mich mit den kubanischen Lesben. Sie sind zu viert, sehr korrekt, sehr männlich. Man könnte sie für Armeegeneräle halten. Sie haben einen derben, völlig maskulinen Charakter. Sie haben ihre Männlichkeit zur Vollkommenheit geschliffen, bis keine Unebenheiten mehr übrig waren. Keinerlei Schwäche. Das gefällt mir. Ich schätze diese Konsequenz an ihnen. Irgendwie kam heraus, dass ich Journalist bin. Die Ausländerin sah mich an und lächelte entspannt.
    »Dann sind wir Kollegen.«
    Sie schüttelte mir die Hand und stellte sich vor:
    »Helga. Ich bin aus den Alpen.«
    »Von wo dort?«
    Sie nannte den Namen eines Dorfes.
    »Ach ja. Ein wunderschöner Ort.«
    »Du kennst ihn?«
    »Ich hab Freunde dort. Ich war ein paar Mal über Weihnachten in den Alpen.«
    Ein Strahlen trat auf ihr Gesicht:
    »Zum Skifahren?«
    »Nein. Ich habe Angst vor dem Skifahren. Ich bin ein Mann des Meeres. Schwimmen, das ist mein Ding.«
    »Ich gehe oft Ski fahren. Ich fahre nur noch deswegen hin. Meine Familie wohnt dort, aber ich lebe in der weiten Welt. Überall auf der Welt, und das reicht mir noch nicht. Es ist nicht genug.«
    So kamen wir auf alle möglichen Themen zu sprechen. Wir redeten über Journalismus, Literatur, den Bergkäse aus den Alpen, die dortige Nazivergangenheit, über Ideologien, über die klassische Sozialdemokratie und wie sie immer weiter heruntergekommen ist, bis sie heute derselbe Mist ist wie alles andere. Gott und die Welt. Ich hatte einen Flachmann mit Rum dabei und bot ihr welchen an.
    »Nein, danke. Alkohol macht mich verschlossen. Ich mag Sachen, die meine Wahrnehmung erweitern.«
    »Hier wird viel getrunken.«
    »Wie überall. Die Regierungen wollen das: verblödete Leute. Leute, die nicht denken. Alkohol, Fußball und Fernsehen. Komm, lass uns reingehen.«
    Wir gingen ins Haus. Alles war ekelhaft und verfallen. Die Einrichtung beschränkte sich auf drei Stühle und einen Tisch, alles am Auseinanderfallen. Ein paar Matratzen auf dem Boden, mit fleckigen, verdreckten Laken. Es war wie im Schweinestall. Sie ging in die Küche. Drehte sich eine Zigarette. Haschisch. Sie fing an zu rauchen.
    »Willst du auch mal?«
    »Nein, Helga. Mir reicht der Rum.«
    »Ich kann ohne das Zeug nicht leben. Wenn ich rauche, brauche ich kein Essen. Nur Wasser.«
    Da wurde mir klar, warum sie wie eine Leiche aussah. Klein, dürr, ausgemergelt, mit kaputten, fleckigen Zähnen, der Blick matt, die Haut schmutzig. Zum Ekeln.
    Sie rauchte ihren Joint zu Ende. Den letzten Zug hielt sie minutenlang in der Lunge. Einen Augenblick lang dachte ich, sie würde ersticken. Sie ließ den Rauch ganz langsam los,
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