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Kay Susan

Titel: Kay Susan
Autoren: Das Phantom
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war gewarnt worden, daß jede Störung – Lärm, helles Licht oder eine plötzliche Bewegung – einen Anfall auslösen konnte, und je mehr Anfälle auftraten, desto größer war die Gefahr eines Herz- oder Nierenversagens oder einer Hirnblutung. Stundenlang saß ich in dem Zimmer mit den schweren Vorhängen und fürchtete den Augenblick, in dem das weiße Gesicht auf den Kissen beginnen würde, in unkontrollierbaren Krämpfen zu zucken. Christine stand so stark unter Chloral, daß sie meine Anwesenheit die meiste Zeit gar nicht wahrnahm.
Ich hatte drückende Schuldgefühle und stellte fest, daß ich immer wieder an Erik denken mußte. Ich wußte, er hätte mich umgebracht, weil ich »seinem Kind« Schaden zugefügt hatte, und immer, wenn abends ein Lufthauch die dunklen Vorhänge vor dem Fenster bewegte, spürte ich etwas Kaltes im Nacken und wagte nicht, mich umzudrehen. Der Arzt mühte sich mehr als einen Monat lang ab, um Christines Zustand zu stabilisieren, doch dann kam es zu einer plötzlichen, raschen Verschlechterung, die ihn veranlaßte, mich sofort um eine Unterredung in meinem Arbeitszimmer zu bitten. Er war ein geradliniger, entschlossener Mann, der sich sehr deutlich ausdrückte. Christines Zustand war so ernst, daß er glaubte, nur durch eine sofortige Operation ihr Leben retten zu können.
»Operation!« Das Wort hallte in meinem Herzen wider wie das Echo eines Verhängnisses.
»Ein Kaiserschnitt. Eine sehr gefährliche Operation, Monsieur Chagny, das verhehle ich Ihnen nicht. Doch ich denke, ich kann zu Recht sagen, daß es in ganz Europa keinen hervorragenderen Chirurgen gibt als Professor Lister vom King’s. Sie haben großes Glück, derzeit in London zu sein, Sir. Noch vor fünf Jahren wurden Listers Lehren in dieser Stadt nicht allgemein akzeptiert. Selbst unsere angesehensten chirurgischen Berater verhöhnten seine antiseptischen Methoden.
Die Stimme des Arztes summte unverständlich in meinen Ohren; ich konnte mich nicht auf seinen Vortrag über Sepsis konzentrieren. Soweit ich wußte, wurde diese spezielle Operation stets nur als letzter Versuch unternommen, eine sterbende Mutter von einem lebenden Kind zu entbinden.
»Ich werde meine Zustimmung nicht geben«, sagte ich düster. »Ich lasse sie nicht zerschneiden zum Wohl eines Kindes, das unmöglich überleben kann, weil sein Geburtstermin erst in zwei Monaten fällig ist.«
Der Doktor sah mich überrascht an.
»Das Kind käme nur einen Monat zu früh, gewiß nicht mehr, das kann ich Ihnen versichern. Bei guter Pflege hat es eine Überlebenschance, aber ich muß Ihnen sehr deutlich sagen, Sir, daß ohne diese Operation Mutter und Kind zweifellos sterben werden.«
Wenn dieser Mann recht hatte – und er mochte sich natürlich irren, denn kein Arzt ist in solchen Dingen unfehlbar –, dann konnte es unmöglich mein Kind sein, das Christine langsam umbrachte.
Ich möchte, daß du vorher sicher bist, Raoul, ganz sicher, daß du mir verzeihst . . .
Wenn ich meine Zustimmung verweigerte, würden sie beide sterben. Wenn ich einwilligte, könnte Christine natürlich trotzdem sterben, aber das Kind könnte überleben, ein Kind, das vielleicht nicht von mir war.
Ich hatte keine Wahl mehr.
»Wie bald können Sie operieren?« fragte ich in stiller Verzweiflung.
In meiner Erinnerung ist die Geburt von Charles untrennbar mit dem Geruch von Karbolsäure verbunden.
    Sie brachten ihn zu mir, sobald er geboren war, und als ich erleichtert das kleine, magere, bläuliche Gesicht betrachtete, das deutlich menschlich war, ließen Tränen meinen Blick verschwimmen. Er war so klein und zerbrechlich mit seinen winzigen Ärmchen und Beinchen. Gewiß hatte der Doktor sich doch geirrt.
    Man sagte mir, es sei besser, ihn sofort taufen zu lassen, und da Christine in tiefer Bewußtlosigkeit lag, mußte ich allein den Namen auswählen.
    Ich nannte ihn Charles, das schien mir ein ganz normaler, unverfänglicher Name zu sein.
Eine Woche später, als wir einigermaßen sicher sein konnten, daß auch Christine überleben würde, riet Professor Lister mir ernsthaft, dafür zu sorgen, daß keine weiteren Kinder kämen.
»Das ist natürlich ganz Ihrem eigenen Gewissen überlassen, Sir, aber ich fühle mich verpflichtet, Ihnen meine wohl begründete Meinung mitzuteilen. Die Fallgeschichte Ihrer Frau, gepaart mit der Möglichkeit, daß bei einer weiteren Schwangerschaft Narbengewebe reißen könnte . . . « Er breitete vielsagend die Hände aus. »Es tut mir sehr leid, Mr. de
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