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Kay Susan

Titel: Kay Susan
Autoren: Das Phantom
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dasselbe getan. Er wollte, daß nach seinem Tod keine Spur von seinem Dasein bliebe. Das Nebenzimmer, das die Habseligkeiten von Mademoiselle enthält, konnte er nicht zerstören. Er brachte es nicht übers Herz. Nach seinem letzten Anfall gestattete er mir, ihn dorthin zu bringen und ihn aufs Bett zu legen. Er sagte, es sei nur passend, daß er an dem Ort sterbe, wo er geboren worden war. Er wollte mir nicht erlauben, ihm die Maske abzunehmen.«
Ich blickte auf. »Stirbt er wirklich?«
»Ich glaube nicht, daß ihm diese Gnade noch lange verweigert wird.«
»Sie denken, daß er Gnade verdient?« fragte ich kalt.
»Ich verteidige nicht, was er getan hat.«
»Aber Sie verzeihen ihm, nicht wahr?«
»Ja«, sagte der Perser leise und wandte sich ab, um ein zerrissenes Manuskriptblatt aufzuheben. »Ich verzeihe ihm.«
Wir schwiegen eine Weile. Der Perser sammelte Papierschnitzel auf und versuchte, sie zusammenzusetzen, bis er das müßige Bemühen mit einem müden Kopfschütteln aufgab.
»Zwanzigjahre hat er an diesem Stück gearbeitet, Monsieur. Ich bat ihn, es mich mitnehmen zu lassen, aber er sagte, er wolle nicht, daß es jemals öffentlich aufgeführt würde. Es ist eine Tragödie, so viel Genie, das einfach ohne Spuren vom Antlitz der Erde verschwindet.«
»Seit wann ist sie bei ihm?«
»Seit gestern abend. Sie bat, ich solle sie miteinander allein lassen. Natürlich habe ich ihren Wunsch respektiert.«
Er wandte sich so hastig ab, daß ich merkte, daß er etwas verbarg. »Sagen Sie mir, was Sie sahen, ehe Sie sie verließen.«
»Monsieur . . . «
»Sagen Sie es mir!«
Der Perser starrte zu Boden, als könne er sich nicht mehr überwinden, mir in die Augen zu sehen.
»Sie nahm ihm die Maske ab und gab sie mir und bat mich, vor Gott ihr Zeuge zu sein.«
Er hielt einen Augenblick inne, als bitte er innerlich, diese Beichte möge ihm erspart bleiben, aber ich wartete unbewegt, bis er weitersprach.
»Sie küßte seine Stirn, viele Male, als fürchte sie, irgendeine Stelle ungeküßt zu lassen. Sie küßte die geschlossenen Lider und folgte mit den Lippen den Spuren seiner Tränen . . . «
Der Perser verstummte plötzlich. Diesmal sprach er nicht weiter, und ich forderte ihn auch nicht dazu auf. Das Schweigen im Raum wurde bedrückend, schien sogar die Luft zwischen uns zu verzehren.
»Was soll ich tun?« fragte ich endlich.
Der Perser seufzte tief.
»Tun Sie, was Erik von Ihnen erwartet hat, mein Freund. Nehmen Sie das Mädchen und lieben und ehren Sie es, bis der Tod Sie trennt. Seine größte Angst war, daß sie allein auf der Welt zurückbleiben könnte. Deshalb schickte er sie mit Ihnen weg, obwohl er wußte, daß sie schließlich bereit war, bei ihm zu bleiben. Monsieur, wenn Ihre Liebe zu ihr so groß ist wie seine, dann wird sie dies alles unverändert überleben.«
Ich saß sehr still unter den mitleidsvollen Blicken des Persers. Im künstlichen Licht verging die Zeit sehr langsam, und als nach ein paar Stunden endlich die Tür zum Nebenzimmer leise geöffnet und geschlossen wurde, wagte ich kaum den Kopf zu heben. Es war der Perser, der aufstand und Christine zu mir geleitete.
Ihre Augen, die in den letzten paar Wochen so gequält gewirkt hatten, blickten jetzt heiter, fast wie aus einer anderen Welt, in ihrem neugefundenen Frieden. Eine seltsame, blaßfarbene Katze ruhte in ihrer Armbeuge, und sie liebkoste mit abwesender Hand ihr glattes Fell.
Ich fühlte mich verloren und unzulänglich, als ich aufstand und ihr unsicher einen Arm um die Schulter legte. Die Katze fauchte mich an, aber Christine schien es nicht zu bemerken.
Ich sah den Perser an, wollte verzweifelt einen Rat, aber er schüttelte nur leicht den Kopf und drückte mit neuer Sympathie und Freundschaft meine Hand.
»Bringen Sie sie nach Hause«, sagte er ruhig. »Ich werde mich um alles kümmern, was hier zu tun bleibt.«
Und so ruderte ich zum letzten Mal über die bleiernen Wasser in dem kalten, unterirdischen Gewölbe. Die Katze kam mit uns, aber ich stellte keine Fragen zu ihrer Anwesenheit. Ich wußte, ich hatte das Recht verwirkt, Fragen zu stellen.
Bis auf das Flackern der Laterne am Bug hatten wir kein Licht. Ich kann also nicht sicher sein, ob meine Sinne mich nicht täuschten. Aber als sie die Hand bewegte, um das unruhige Tier zu besänftigen, sah ich kein Glitzern von Diamanten an dem schmalen goldenen Ehering an ihrem Finger.
Es war dunkel, als wir draußen die Straßen erreichten. Unmerklich war der Tag in einer frühen Dämmerung
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