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Kautschuk

Kautschuk

Titel: Kautschuk
Autoren: Hans Dominik
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Stirn. Ja – sie konnte zufrieden sein mit dem Bild, das der Spiegel ihr zuwarf.
    Sie klingelte. Die Zofe kam herein. »Schnell, Bessie! Meine Frisur! Mr. Hopkins kommt!«
    Während die Zofe mit dem Haar beschäftigt war, griff Juliette mechanisch nach dem Lippenstift – hielt zögernd inne. Steve liebte geschminkte Lippen nicht. Würde er sie heute auf den Mund küssen, wie früher? Oder wieder nur auf die Stirn? Wie so manchmal in der letzten Zeit, wo er kam, sich nach ihrem Befinden erkundigte, ein paar gleichgültige Worte sprach und wieder von ihr ging, ohne ihre Reize zu beachten.
    Sie war viel zu klug, um nicht zu merken, wie er ihr allmählich entglitt. Vergeblich hatte sie sich, als sie die ersten Anzeichen merkte, dagegen gewehrt; hatte vergeblich versucht, ihn in immer neuer Weise wieder stärker an sich zu fesseln.
    Ihr bangte um die Zukunft. Wohl würde Hopkins für sie sorgen, wenn er sie verließ. Aber ein Leben in kleineren Verhältnissen erschien ihr unerträglich. Eine Zeit in Glanz und Luxus, wie sie sie an Steve Hopkins’ Seite verlebt hatte, war ihr Traum von Jugend an gewesen. Diesen Traum zu erfüllen, hatte sie ihren Mann verlassen, an dem sie auf ihre Art doch gehangen hatte. Zu teuer wäre dies Glück erkauft, wenn es jetzt schon zu Ende ging.
    Hopkins’ Besuch heute ... Was wollte er von ihr? Trieb liebe ihn her – oder ...? Noch einmal betrachtete sie sich im Spiegel. Die Zweifel schwanden von ihrem Gesicht. Befriedigt schaute sie auf ihr Bild. Kein Mann mit Blut in den Adern dürfte widerstehen.
    Ein paar Minuten, dann trat er ins Zimmer. Juliette hatte sich so gestellt, daß das Tageslicht der hohen Fenster auf sie fiel. Hopkins begriff sofort ihre Absicht. Gewohnt, jeden Vorteil wahrzunehmen, ging er darauf ein, um sie leichter seinen Plänen gefügig zu machen. Und er brauchte nicht zu heucheln, als er auf sie zueilte und sie in seine Arme nahm. Voll stürmischer Freude empfand Juliette den Sieg ihrer Reize.
    Als sie sich aus ihrer Umarmung lösten, kehrten seine Gedanken zu seinem Plan zurück. Ohne Umschweife begann er zu sprechen.
    Schon bei seinen ersten Worten ging ein jähes Erschrecken über Juliettes Züge. Je weiter er sprach, desto größer ihr Entsetzen. »Unmöglich!« rief sie, als er geendet, und brach in lautes Weinen aus. »Zu Wilhelm Hartlaub soll ich? Zu dem Mann, den ich deinetwegen verlassen habe?«
    »Warum nicht, Juliette? Du bringst ihm doch Hilfe. Er kommt nach Deutschland zurück – in eine gutbezahlte Stellung. Unter falschem Namen natürlich; aber das tut ja nichts zur Sache.«
    »Nein, Steve! Ich kann das nicht. Ich ertrage es nicht, mit ihm zusammenzukommen. Du sagst, er sei in Not und Elend? Wie würde ich mir vorkommen? Zu Tode müßte ich mich schämen, käme ich aus diesem Wohlleben zu ihm, der vielleicht darbt und hungert ... Nimm irgendeinen andern für deinen Auftrag!« Sie warf sich schluchzend auf eine Couch.
    Hopkins setzte sich neben sie, legte die Hand auf ihre Schulter. »Juliette! Ich vergaß, zu sagen, daß du mir einen großen Dienst leistest, wenn du es tust. Sieh mich bitte an!«
    Der Ton seiner Stimme, die Berührung seiner Hand ließ sie gehorsam den Kopf wenden.

»Juliette! Gewiß, es mag dir schwerfallen, deinen früheren Gatten wiederzusehen. Aber würdest du es nicht über dich gewinnen – mir zu Gefallen? Aus Liebe zu mir?«
    Er legte die Arme um ihre Schultern, zog sie leicht an seine Brust, küßte sie wieder und wieder. »Du mußt es tun, Juliette! Mir zuliebe wirst du deine Furcht überwinden. Wenn es dir gelänge – niemals würde ich dir diesen Dienst vergessen!«
    Langsam entwand sie sich seinen Armen. »Laß mir Zeit bis morgen! Meine Nerven möchten versagen, wenn ich jetzt zu Hartlaub ginge.«
    »Gewiß, Liebste. Aber den heutigen Abend verbringen wir zusammen. Du ziehst das rote Abendkleid an, das dir so gut steht. Ich werde wieder dein Kammerdiener sein. Du weißt doch, wie oft ...«

Dicker Morgennebel braute über dem Themseviertel. Die Lichter auf den Pieren und an den Ladekranen vermochten den milchigen Dunst kaum zu durchdringen. Eine Uhr begann zu schlagen. Eine zweite, eine dritte. Sechs Uhr morgens.
    Für Minuten wurde das Knarren der Krane vom Stampfen vieler schwerbeschuhter Füße übertönt. Die Tagesschicht rückte an; die Nachtschicht zog ab. Schwarz strömte es aus den Lagerhäusern auf die Hafenstraßen. Zwei aus der Menge schlugen den Weg in eine enge Hafengasse ein.
    »Verflucht kalt heute
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