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Kauft Leute

Kauft Leute

Titel: Kauft Leute
Autoren: Jan Korssdorff
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dachte immer an ihn, wenn sie einen gefährlich aussehenden Zaun sah. Der Albtraum einer Mutter, gut, einer von Hunderten Albträumen, die eine Mutter mitunter heimsuchen, aber der Schneider-Junge war so besonders hübsch gewesen, ein Sensibelchen wie die Mutter, und dann so ein Tod … Angela war nicht ängstlich, aber je älter man wurde, desto mehr Dinge gab es, die einen an schlimme Ereignisse oder den Tod erinnerten. Wenn ein Hund in ihrer Nähe bellte, dachte sie an die Mutter ihres Mannes, der ein Bernhardiner ins Gesicht gebissen hatte, wenn gegrillt wurde, fiel ihr ein, wie die Tochter ihrer Schwester brennenden Spiritus abbekommen und schlimme Verbrennungen erlitten hatte, wenn sie einen Swimmingpool mit Kindern sah, erinnerte sie sich an den Sohn von Ursula Karven, der unbeaufsichtigt gewesen und ertrunken war. Nein wirklich, sie brauchten eine gute Nanny!
    Der Security-Mann am Tor winkte sie herein und wies ihnen, sich Richtung Parkplatz 1 zu halten, der den rechten äußeren Bereich des Geländes einnahm. Er war zu diesem Zeitpunkt bereits fast völlig zugeparkt und Bernd folgt den Anweisungen von etwa acht verschiedenen Parkwächtern, die ihn zu einem der letzten freien Plätze lotsten. Schon auf diesen hundert Metern konnten die Leitners einen Großteil des Geländes einsehen: Direkt gegenüber der Einfahrt war eine Bühne aufgebaut worden, die ab Mittag bespielt werden würde. Sie war etwa 15 Meter breit und auf der Rückfläche mit den Logos des Veranstalters, der Fernsehstation und von Gastronomie-Partnern versehen. Vor der Bühne war ein Platz von etwa 50 mal 30 Meter, auf dem sich später das Publikum mit Bier, Merchandising-Artikeln und Papiertüten mit Katalogen und Stickern in der Hand in Aufstellung bringen würde. Aber hinter der Bühne, da begann das eigentliche Wunderland. Ein sternförmiger Gebäudekomplex, dessen Glasfronten in der Sonne glänzten und der in seiner noch unberührten Funktionalität das Verlangen weckte, ihn zu betreten und zu erforschen und zu benutzen.
    Das Zentrum der Anlage war ein zweistöckiger Turm. Rolltreppen führten von vier Seiten des Geländes zu seiner oberen Ebene. Sechs gläserne Korridore verbanden ihn mit sechs Gebäuden, die gleichmäßig um den Turm herum angeordnet waren. Es waren schlichte würfelförmige Häuser, die mehr nach Bürogebäuden als nach Verkaufsflächen aussahen, aber der Eindruck verschwand, wenn man sie von innen sah. Auf der hinteren Seite des Sterns befand sich ein längliches Gebäude, das, von oben betrachtet, wie die Spiegelung der Bühne auf der Vorderseite des Geländes aussehen musste. Hinter diesem Trakt mochten sich noch weitere Gebäude befinden, aber vom Parkplatz aus konnte man nicht weiter sehen.
    Die Leitners parkten ihren Wagen und stiegen aus. Bernd konnte sofort die Aufregung spüren, die über dem Platz lag. Während er noch überlegte, wo diese Spannung eigentlich herrührte, bemerkte er, dass sie tatsächlich in der Luft lag: Lautsprecher auf den Parkplätzen übertrugen Musik, die an ein Computerspiel oder einen Actionfilm erinnerte. Er und alle anderen am Gelände begriffen intuitiv, dass der spannendste Teil der Geschichte kurz bevor stand. Von allen Seiten des Geländes strebten Menschen auf den zentralen Turm zu und begannen, vor den Rolltreppen Reihen zu bilden. Angela musste an einen Film denken, den sie neulich spätabends gesehen hatte. Es war eine Dokumentation über die Eröffnung eines neuen Riesendiscounters gewesen, den es jedoch gar nicht gab. Es gab nur eine Werbekampagne, und als die Menschen kamen, um den fantastischen neuen Markt zu besuchen, war da nichts als eine Fassade auf einem Acker. Manche Leute lachten, andere wurden fuchsteufelswild, wieder andere waren einfach nur enttäuscht. Angela hoffte, dass es hier anders sein würde. Werbung und Berichterstattung hatten ihr suggeriert, dass HÜMANIA etwas Einmaliges war, und sie war bereit, eine völlig neue Erfahrung zu machen, an einer innovativen Idee teilzuhaben. Bernd dagegen suchte schon nach Schwachstellen. Ihm war sofort aufgefallen, dass die Lenkung der Massen zu den vier Rolltreppen zu Wartezeiten führen musste, im schlimmsten Fall vielleicht sogar zu Rempeleien oder Stürzen. Er sagte, an niemand bestimmten gerichtet: »Man müsste das Stiegenhaus öffnen!«, und schüttelte den Kopf. Dennoch stellten sich die Leitners in der Schlange vor einer Rolltreppe an. Noch war sie durch eine Kette versperrt, und auch am oberen Ende der Treppe
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