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Kauft Leute

Kauft Leute

Titel: Kauft Leute
Autoren: Jan Korssdorff
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Orientierung im Haus. Wir befinden uns hier am sogenannten Gastro-Ring. Wenn Sie der kleine oder große Hunger zwickt, können Sie zwischen sechs verschiedenen Restaurants und mehreren Imbiss-Ständen auswählen. Heute ist das Frittierfett noch frisch, also schlagen Sie zu. O Gott, ich mache mir Probleme … Vom Gastro-Ring führen vier Rolltreppen hinunter zum Parkplatz und sechs Korridore zu den Ausstellungshäusern. Welche das sind, erzähle ich Ihnen gleich. Wie Sie aber sehen, führen auch Türen vom Gastro-Ring ins Innere dieser Ebene. Dort befindet sich die Informations- und Bestellzone. Sie können nämlich auf zweierlei Arten bei uns shoppen: Entweder Sie streifen durch unsere Ausstellungsräume, so wie wir es gleich machen werden, und schauen, ob etwas da ist, das Ihnen gefällt, oder Sie peilen gleich die Bestellzone an und beschreiben einem unserer freundlichen Servicemitarbeiter, was Sie suchen. Kurz vor sechs am Abend wird sich das mit der Freundlichkeit wahrscheinlich erledigt haben, also kommen Sie früh und blicken Sie in sonnige Gesichter. Schauen Sie, da kommt Cindy mit ihrer Gruppe vorbei, sagen Sie mal ›Hallo Cindy!‹«
    Die Leitners und alle anderen riefen: »Hallo Cindy!«
    Cindy, die locker 95 Kilo auf die Waage brachte und ihre Uniform faltenfrei ausfüllte, blieb kurz stehen und lobte Lars dafür, wie toll er seine Leute erzogen hatte. Lars erwiderte, das sei ganz einfach gewesen, in Wien kapierten sie alles doppelt so schnell wie in München. Die Vorstellung gefiel allen, und Cindy und ihre Gruppe zogen weiter.
    »Also gut«, sagte Lars, »sprechen wir von den sechs Ausstellungshäusern. Da wäre mal der Bereich …«
    Eine Stimme vom hinteren Ende der Gruppe unterbrach Lars: »Tschuldigung, aber ich hab das noch nicht so richtig begriffen …« Es war ein etwa neunzehnjähriger Junge in engen Jeans und einem zerschlissenen Cord-Sakko. Riesenhafte Kopfhörer hingen um seinen Hals, und seine schwarzen Haare glänzten fettig im Licht dieses großen Freudentages.
    »Was denn?«, fragte Lars ruhig.
    »Was kaufe ich denn hier eigentlich? Menschen?« Er sah in die Runde, ob sich nicht noch jemand diese Frage gestellt hatte, aber seine Gruppenkollegen fanden den Einwurf bloß störend. Darüber hatte man doch schon so viel lesen können, und der Konsumentenschützer hatte doch gerade erst am Vormittag im Radio davon gesprochen.
    Lars sagte ohne Aufregung: »Wenn Sie einen Job bekommen und angestellt werden,
kauft
Ihr Arbeitgeber Sie dann? Nein, das tut er nicht. Genauso wenig kaufen Sie hier jemanden. Was Sie hier erwerben ist
Zeit, Fähigkeit
und
Persönlichkeit
. Das ist es, was Sie bekommen, und wenn Sie darüber nachdenken, werden Sie sehen, dass man nichts Wertvolleres für sein Geld kriegen kann.«
    Den anderen Gruppenmitgliedern erschien das plausibel und sie hofften, damit hätte der junge Mann genug. Patrick aber fand, dass man dem Kerl mit den Kopfhörern gar keine wirkliche Antwort gegeben hatte, so wenig wie seine Lehrerin wirklich gesagt hatte, was sie über diese Sache hier dachte. Er selbst hatte sich noch keine Meinung bilden können, hoffte aber, dass er bald wissen würde, was eine Fleischbeschau und Tittenparade war. Vor allem aber wollte er den tätowierten Popcornverkäufer im Kinderkino sehen.
    Lars änderte seinen Plan: »Wissen Sie was, sehen wir uns einfach mal das erste Ausstellungshaus an, dann wird alles viel klarer! Fangen wir gleich bei Nummer 1 an, das ist der Bereich ›Work‹, oder, wie ich es nenne, das ›Schweiß- und Schwielenland‹ …«
    Lars spazierte in Richtung Korridor 1. Er wusste, dass in jeder Gruppe mindestens ein Störenfried war, aber er hatte gehofft, dass es bei seiner ersten Führung in Wien nicht so sein müsse … Lars hatte das System nicht erfunden, er war auch keiner von den Rechtsanwälten, die festgelegt hatten, in welcher Form man von der »Ware« sprechen durfte, und er gehörte auch nicht zur Kommunikationsabteilung, die die Medien und die Öffentlichkeit mit Informationen versorgte, damit sie das begriffen, was eigentlich unbegreiflich war. Er musste nur für gute Laune sorgen und die Scheu der Leute verschwinden lassen, wenn sie sich einem Kauferlebnis gegenübersahen, wie sie es noch nicht gekannt hatten. Und Lars wusste, dass der entscheidende Augenblick erst kam. Wenn man von HÜMANIA las, einen Bericht im Fernsehen sah, oder das erste Mal den Gastro-Ring hinunterschlenderte, hatte man in Wirklichkeit noch nicht den geringsten
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