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Kauft Leute

Kauft Leute

Titel: Kauft Leute
Autoren: Jan Korssdorff
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Eindruck bekommen, worum es dabei ging. Es war blanke Theorie. Sah man sich aber das erste Mal dem gegenüber, was HÜMANIA verkaufte, löste das eine dermaßen starke Emotion aus, dass alles, was man vorher gehört und gelesen hatte, bedeutungslos wurde. Im Angesicht der »Ware« entschied das Herz allein, ob es dieses System akzeptierte oder nicht. HÜMANIA hatte viel versucht, um diesen Moment abzuschwächen, die Emotionen abzufedern und jenen Leuten, die schockiert reagierten, einen Strohhalm zu reichen, an dem sie sich festhalten konnten, bevor sie in Abscheu versanken. Doch das war ein heikles Unterfangen: Denn genau jener Moment der ersten Begegnung war es, der so vielen den großen Kick bedeutete, an dem der Erfolg des ganzen Unternehmens hing. Gewiss konnte man auch alle Kunden nur im Beratungszentrum betreuen und ganz ohne die Kosten und den Aufwand der Ausstellungsräume auskommen. Doch das hieße, auf die stärksten Emotionen, die je ein Einkaufserlebnis auf der Welt bereitgehalten hatte, zu verzichten. Und wer wäre so dumm, das zu tun?

3
    L ARS FÜHRTE DIE G RUPPE DURCH DEN gläsernen Korridor zu HAUS 1, denn dies war die ideale Station, um die Anfänger einzuweisen. Schön langsam würde er sie dann bis zu HAUS 5 hinführen. HAUS 6 betrat er nicht, zumindest nicht mit Gruppe. Es erklärte sich auch wirklich von alleine … Lars wusste, was er sagen musste, um die Leute auf das Erlebnis vorzubereiten: »Diejenigen von Ihnen, die das erste Mal einen unserer Ausstellungsräume betreten, werden vielleicht etwas überrascht seien. Die Damen kennen das ja sicher, wenn Sie ein Produkt im Schaufenster anlächelt. Hier wird Ihnen das aber tatsächlich passieren! Lassen Sie sich vom Eindruck der Boxen nicht täuschen: Alle unsere ›Helden‹ – so nennen wir sie übrigens – sind vollkommen freiwillig dabei, sehen ihren Aufenthalt bei uns als große Chance und sind außerhalb der Geschäftszeiten natürlich anderswo untergebracht. Es wird auch jede Stunde getauscht, es ist also niemand länger als 60 Minuten im Window.«
    Einer der drei Besucher, die schon einen HÜMANIA-Markt kannten, nickte zustimmend, dann sagte er zur übrigen Gruppe: »Man gewöhnt sich an den Anblick. Und die haben alles, was sie brauchen!« Er machte eine abschätzige »Schwamm drüber«-Handbewegung und gab den anderen damit zu verstehen, dass alles halb so wild sei und galt, was immer galt: Die, für die man Mitleid empfand, spekulierten doch genau darauf und waren meistens die größten Schlitzohren und Profiteure …
    Lars ging mit der Gruppe durch die automatische Doppelschiebetür, die in eine etwa fünf Meter lange Schleuse führte. Diese endete in einer weiteren Tür, die allerdings aus schwarz getöntem Glas bestand. Als die Gruppe auch durch diese automatische Tür schritt, fanden sie sich an der Basis eines Kreuzes aus Licht wieder. Ein etwa vier Meter breiter Gang führte durch die ganze Länge des dunklen, fensterlosen Hauses. In seiner Mitte wurde er von einem Gang in einem Winkel von neunzig Grad gekreuzt. An alle Seiten des Gangs schlossen die Schaufenster an, aus denen helles Licht fiel. Die Auslagen waren alle drei Meter durch undurchsichtige Trennwände abgeteilt, sodass man auf dieser Ebene den Inhalt von etwa 30 Boxen begutachten konnte. In jeder befand sich ein Mann aus Fleisch und Blut – atmend, in Bewegung, Zuschauer fixierend, nachdenkend, lächelnd oder sich attraktiv in Stellung bringend. Fast alle trugen sie Arbeitsmontur. Es waren sehr junge Männer darunter: Manche sahen unreif aus wie Halbwüchsige, Lehrlinge; Bürschchen, die man erst ausbilden musste. Andere hatten kräftige Staturen, präsentierten sich lässig und wirkten, als könnten sie mit rechts eine Mauer hochziehen und mit links wieder einreißen. Einige von ihnen hatten ihr Shirt ausgezogen, achtlos über die Schulter geworfen und zeigten ihre trainierten Körper. Fast alle hatten Requisiten bei sich in ihren Kabinen, die ihre jeweiligen Fähigkeiten unterstrichen und mit denen sie hin und wieder hantierten oder posierten: Werkzeuge, Schweißgerät, Pressluftbohrer, Motorsägen … Die Älteren trugen oft bloß Klemmblock und Zentimetermaß bei sich, denn sie waren Bauleiter oder Projektplaner und für schwere körperliche Arbeit nur mehr bedingt geeignet. Manche waren wohl schon über sechzig und verhielten sich passiv in der Kabine. Sie blätterten bloß in einem technischen Buch, kritzelten Planzeichnungen in einen Block oder blickten
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