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Katherine Neville - Das Montglane-Spiel

Katherine Neville - Das Montglane-Spiel

Titel: Katherine Neville - Das Montglane-Spiel
Autoren: Malaxis
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Nonnen verstummten. Im Raum herrschte Grabesstille; man hörte nur noch die Stimme der Äbtissin.
„Ich bin eine alte Frau, die Gott vielleicht früher zu sich ruft, als sie glaubt. Das Gelübde, das ich abgelegt habe, als ich in dieses Kloster eintrat, umfaßte nicht nur das Gelöbnis der Treue zu Christus. Als ich vor beinahe vierzig Jahren die Äbtissin von Montglane geworden bin, habe ich geschworen, ein Geheimnis zu wahren und, wenn nötig, auch mit meinem Leben zu schützen. Meine Geschichte ist lang, und ich bitte euch um Geduld, wenn ich sie jetzt erzähle. Aber wenn ich damit zu Ende bin, werdet ihr wissen, warum jede von uns das tun muß, was zu tun ist.“
Die Äbtissin trank einen Schluck Wasser aus dem silbernen Becher, der vor ihr auf dem Schreibtisch stand. Dann sprach sie weiter.
„Heute ist der vierte April im Jahre des Herrn 1790. Meine Geschichte beginnt auch an einem vierten April, aber vor vielen, vielen Jahren. Meine Vorgängerin hat mir diese Geschichte erzählt, so wie seit dem Bestehen des Klosters jede Äbtissin ihrer Nachfolgerin nach der Weihe. Und nun erzähle ich sie euch ...“

GESCHICHTE DER ÄBTISSIN
    Am vierten April des Jahres 782 fand im orientalischen Palast in Aachen zu Ehren des vierzigsten Geburtstags von Karl dem Großen ein märchenhaftes Fest statt. Der große König hatte alle Edlen seines Reichs zu diesem Fest geladen. In dem großen Innenhof mit der Mosaikkuppel, den geschwungenen Treppen und Balkonen standen eigens zu diesem Zweck herbeigeschaffte Palmen, und alles prangte im festlichen Schmuck von Blumengirlanden. In der großen Halle ertönten unter goldenen und silbernen Lampen Harfen- und Lautenklänge. Die Höflinge, in Purpur, Scharlachrot und Gold gekleidet, schritten durch ein Märchenland, in dem Jongleure, Narren und Puppenspieler die Gäste unterhielten. Man brachte wilde Bären, Löwen, Giraffen und Tauben in Käfigen. Schon seit Wochen herrschte am Hof eine fröhliche, erwartungsvolle Stimmung. Heute sollte der Höhepunkt des Festes sein. Am Morgen seines Geburtstags erschien der König im Kreis seiner achtzehn Kinder, der Königin und seiner bevorzugten Höflinge. Karl der Große war ein außergewöhnlich großer Mann und besaß die sehnige Kraft und Anmut eines Reiters und Schwimmers. Die Sonne hatte seine Haut gebräunt und Haare und Schnurrbart blond gebleicht. Trotz einer schlichten Wolltunika und einem Umhang aus Marderfellen strahlte er königliche Würde und Autorität aus. An seiner Seite hing das stets griffbereite Schwert. Der König schritt durch den Hof und begrüßte jeden seiner Untertanen. Er forderte alle auf, nach Herzenslust von den erlesenen Speisen und Getränken zu nehmen, unter denen sich die Tafeln im Saal bogen.
    Der König hatte sich für diesen Tag etwas ganz Besonderes ausgedacht. Als Meister der Kampf Strategie hatte er eine Vorliebe für ein bestimmtes Spiel. Es war ein Kriegsspiel, das Spiel der Könige - Schach. Karl der Große wollte an seinem vierzigsten Geburtstag gegen den besten Spieler in seinem Reich, einen Soldaten namens Garin der Franke, eine Partie Schach spielen.
    Unter Trompetenklängen betrat Garin den Hof. Die Akrobaten vollführten tollkühne Sprünge, und junge Frauen schwenkten Palmzweige und bestreuten seinen Pfad mit Rosenblättern. Garin war ein ernster, schlanker und blasser junger Mann mit grauen Augen. Er diente als Soldat im Westheer. Garin kniete nieder, als der König sich erhob, um ihn zu begrüßen.
    Dann brachte man das Schachspiel in die große Halle. Acht dunkelhäutige Mauren trugen es auf ihren Schultern. Die Männer und das Schachspiel waren ein Dankgeschenk von Ibn-alArabi, dem Moslemherrscher von Barcelona, den der König vor vier Jahren im Kampf gegen die Basken unterstützt hatte. Beim Rückzug aus dieser berühmten Schlacht war der von Karl dem Großen so geliebte Krieger Hruolant, der Held des Rolandsliedes, auf dem Paß von Roncesvalles in Navarra gefallen. Dieser leidvolle Umstand hatte den König bewogen, das Schachspiel nie zu benutzen, und er hatte es bisher auch seinem Hof noch nicht gezeigt.
    Alle Anwesenden staunten über das prachtvolle Schachspiel, das feierlich auf einen Tisch gestellt wurde. Es stammte zwar aus den Händen meisterhafter arabischer Handwerker, aber die Figuren verrieten deutlich ihre indische und persische Herkunft. Manche glauben nämlich, daß das Schachspiel schon vierhundert Jahre vor Christi Geburt in Indien bekannt war und während der arabischen
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