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Katakomben (van den Berg)

Katakomben (van den Berg)

Titel: Katakomben (van den Berg)
Autoren: Mark Prayon
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ließen
ihn kalt. Aber dieses tote Mädchen hier rührte ihn von der ersten Sekunde an, so
sehr, dass es ihm schwerfiel, klar zu denken. Der Anblick dieses toten Engels
schnürte seinen Hals zu, er zwang sich, tief Luft zu holen. Ein paar Meter
weiter hockte Thomas Verschacht mit einem Notizblock in der Hand. Der
Polizeiarzt winkte van den Berg zu sich. „Ich kann dir noch nichts sagen“,
sagte er ernst. Das faltige Gesicht des Mediziners schien eingefroren. „Eine
schöne Scheiße ist das. Äußerlich ist sie unversehrt, jedenfalls soweit ich das
bis jetzt sehen kann.“ Das Mädchen lag noch immer auf dem Rücken, den Kopf zur
Seite gedreht, so wie sie der Clochard gefunden hatte. „Beeil dich, ich brauche
Informationen“, fuhr van den Berg den Mediziner an. „Sehe ich aus, als mache
ich hier ein Picknick?“ Van den Berg fasste dem Doc entschuldigend an die
Schulter – ihm war klar, dass er sich wieder mal im Ton vergriffen hatte.
    Das
Mädchen war ungewöhnlich schön. Van den Berg betrachtete ihre weichen
Gesichtszüge, die rehbraunen Augen, die zarte Figur. Er konnte jetzt nicht viel
tun, erstmal waren die Pathologen dran. Und die Kollegen mussten herausfinden,
wer die Tote war. Er fühlte sich wie ein Wasserkühler, der zu heiß gelaufen
war. Es war definitiv das Beste, nach Hause zu fahren. „Da ist noch etwas“,
rief ihm Verschacht zu, als er auf dem Weg zum Wagen war. „Sie ist sozusagen
tätowiert.“ Der Mediziner hob den Arm des Mädchens an und drehte ihn so, dass
van den Berg das Zeichen sehen konnte. Auf der Innenseite war ein Kreis
eingebrannt. Exakt in dessen Mitte befand sich eine Zahl: die Acht. „Ein
eigenwilliges Motiv für ein Mädchen“, bemerkte van den Berg fragend. „Was ist
heute schon noch eigenwillig? Manche lassen sich einen Totenkopf stechen oder
die Schamlippen piercen“, erwiderte Deflandre grinsend. „Da ist so was doch
ziemlich normal.“ „Normal ist das hier sicher nicht - das ist keine
Tätowierung, das ist ein Brandmal“, widersprach der Arzt entschieden. Van den
Berg war das Teil gleich komisch vorgekommen. „Ein Brandmal also, so was
verpasst man doch normalerweise nur Tieren …“ „Bei Pferden werden Brandzeichen
gesetzt, zum Beispiel, um die Rasse zu markieren“, erklärte Verschacht. Van den
Berg konnte sich keinen Reim darauf machen. In seinem Gesicht spiegelten sich
gleichermaßen Ekel und Ratlosigkeit wider - er wollte nur noch weg. Der
Kommissar verabschiedete sich eilig von seinen Kollegen, aber nicht ohne ihm vorher
noch einmal einzubläuen, schnell Ergebnisse zu liefern. Als er die Chaussée
d´Ixelles entlangfuhr, schossen ihm tausend Gedanken durch den Kopf. Als er an
Marie dachte, war er wieder auf 180.
    Es
war kurz nach Mitternacht. Vor den meisten Fenstern in der Rue de la Prairie am
Gare du Nord waren die Rollläden bereits heruntergelassen. Nur wenige Huren
warteten noch auf Kundschaft. Wenn um diese Zeit Freier in die schmuddeligen
Straßen hinter dem Bahnhof kamen, dann waren es meist Männer, die aus den
Kneipen am belebten „De Brouckére“ herüber schlenderten. Die Gegend war
ziemlich heruntergekommen, auf den Bürgersteigen waren Kondome und Bierdosen
verstreut. An der Ecke standen zwei Gestalten, denen man von weitem ansehen
konnte, dass sie nichts Gutes im Schilde führten. Ein älteres Touristenpaar aus
Dänemark, das in der Gegend ziemlich fehl am Platz wirkte, winkte hektisch nach
einem Taxi. An einem der Fenster hing die Jalousie auf halber Höhe, das Zimmer
war leer. An der Scheibe klebte ein alter Zettel mit einem Foto: „Vermisst!
Dorothee Lerisse.“

 
 
 
    Der
schwarze BMW bahnte sich zügig den Weg zurück durch den Wald. Hugo warf einen
Blick auf das Stück Papier, das ihm der Mann gegeben hatte. Auf dem Blatt
fanden sich handschriftliche Notizen, die in einer Art Tabelle geordnet waren.
    Hugo
schloss die Wohnungstür auf, warf den Mantel über das italienische Ledersofa,
nahm sich einen Martini Bianco aus der Bar und gab zwei Eiswürfel dazu. Er
lächelte, als er sich auf einen der schweren Sessel fallen ließ. Der elegante
Mann ließ seinen Zeigefinger zärtlich über den goldenen Ring kreisen, der eine
dezente Gravur trug, die eine Flamme darstellte. Hugos Wohnung war beinahe
steril, die Regale leer und die strahlend weißen Wände völlig nackt. Die
Einrichtung entsprach der eines repräsentativen Büros, modern und auf das
Wesentliche reduziert. Während Hugo an seinem Glas nippte, studierte
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