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Kaste der Unsterblichen

Kaste der Unsterblichen

Titel: Kaste der Unsterblichen
Autoren: Jack Vance
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werden noch boshafter und närrischer sein als sie.«
    »Gehen wir doch lieber …«
    »Erinnern Sie sich, Gavin? Sie haben versprochen, mir überallhin zu folgen.«
    Widerstrebend ließ sich Gavin von ihr durch das Portal führen.
    »Die Reine Wahrheit oder die Gelinde Wahrheit?« fragte der Einweiser.
    »Die Reine Wahrheit!« antwortete Die Jacynth sofort.
    Waylock protestierte, und Die Jacynth sah ihn schief an. »Gavin, haben Sie mir nicht versichert …«
    »Schon gut, schon gut. Ich kann den Tatsachen genauso ins Auge blicken wie Sie.«
    »Nach links bitte, wenn Sie so freundlich wären«, sagte der Einweiser.
    »Kommen Sie, Gavin.« Sie führte ihn den Gang entlang. »Stellen Sie sich vor – Sie werden ganz genau wissen, was ich von Ihnen halte.«
    »Also sehen Sie mich schließlich doch noch ohne Maske«, murmelte Waylock.
    »Selbstverständlich. Hatten Sie nicht selbst vor, sich mir zu offenbaren, bevor die Nacht vorüber ist? Oder hofften Sie, mich mit der Maske vor Ihrem Gesicht umarmen zu können?«
    Der Einweiser geleitete sie zu zwei Nischen. »Bitte entkleiden Sie sich hier. Hängen Sie sich die Nummern um den Hals. Sie nehmen dieses Mikrophon mit – sprechen Sie Ihre Kommentare, Kritiken, Anerkennungen und Verunglimpfungen der Personen, die Ihnen begegnen, hinein und schicken Sie jeweils die Nummer des Betreffenden voraus … Wenn Sie dieses Haus verlassen, erhalten Sie eine Aufstellungsdurchschrift der Bemerkungen anderer über Sie.«
    Fünf Minuten später trat Die Jacynth Martin in den Zentralsaal. An ihrem Hals hing die Nummer 202, und in der Hand hielt sie ein kleines Mikrophon. Sie war völlig nackt.
    Der Saal war ausgelegt mit dickem, weichem Flor, und es ließ sich angenehm mit den bloßen Füßen darüber hinwegschreiten. Fünfzig nackte Männer und Frauen aller Altersstufen wanderten hier und dort umher und unterhielten sich miteinander.
    Gavin Waylock erschien mit der Nummer 98 – ein Mann, der ein ganzes Stück größer war als die anderen; er wirkte jugendlich, und sein gut gebauter Körper war recht muskulös. Sein Haar war dicht und dunkel, die Augen kennzeichnete ein blasses Grau, das Gesicht wirkte hager, attraktiv, ausdrucksvoll.
    Er trat vor und hielt ihrem Blick offen stand. »Warum starren Sie mich so an?« fragte er, und seine Stimme klang ein wenig spröde.
    Sie wandte sich abrupt ab und sah sich im Saal um. »Wir müssen jetzt umhergehen und den anderen die Möglichkeit geben, uns zu taxieren.«
    »Die Leute werden beklemmend offen sein«, sagte Waylock. »Ihr Erscheinungsbild aber …« er musterte sie von Kopf bis Fuß – »… ist über jede Kritik erhaben.« Er hob das Mikrophon vor den Mund und sprach einige Sätze. »Meine ehrlichen Eindrücke sind nun festgehalten.«
    Fünfzehn Minuten lang wanderten sie in der hell erleuchteten Halle umher, und die dicken Teppiche umschmeichelten ihre nackten Füße. Sie unterhielten sich kurz mit anderen Besuchern, die ganz versessen auf ein kleines Gespräch zu sein schienen. Dann kehrten sie zu den Nischen zurück und legten wieder ihre Kostüme an. Am Ausgang wurden ihnen zwei Umschläge ausgehändigt, die mit den Worten DIE REINE WAHRHEIT beschriftet waren. Im Innern fanden sich Aufstellungen der Bemerkungen jener Personen, die sie im Innern getroffen hatten – meist die freimütigsten und unverblümtesten Kommentare, die man sich vorstellen konnte.
    Die Jacynth runzelte zuerst die Stirn, kicherte dann, errötete und las mit hochgezogenen Augenbrauen und amüsiertem Ärger weiter.
    Waylock warf zunächst nur einen flüchtigen, fast gleichgültigen Blick auf seine Liste, dann neigte er abrupt den Kopf und las mit gespannter Konzentration:
     
    Hier ist ein Gesicht, das ich wiedererkenne, aber ich bin mir nicht ganz sicher, wo und bei welcher Gelegenheit ich es schon einmal gesehen habe. Eine Stimme in meinem Innern flüstert mir zu – Der Grayven Warlock! Aber dieses schreckliche Ungeheuer wurde vor Gericht gestellt, verurteilt und den Assassinen überantwortet. Wer also kann dieser Mann sein?
     
    Waylock hob den Blick. Die Jacynth beobachtete ihn. Er faltete die Liste sorgfältig zusammen und schob sie in die Tasche. »Sind Sie soweit?«
    »Ich habe alles erfahren, was ich wissen wollte.«
    »Also gut … dann lassen Sie uns gehen.«

 
ZWEI
     
1
     
    Gavin Waylock verfluchte sich als tölpelhaften Narren und Idioten. Dem verlockenden Zauber eines hübschen Gesichts ausgesetzt, hatte er die Wachsamkeit von sieben Jahren
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