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Kaste der Unsterblichen

Kaste der Unsterblichen

Titel: Kaste der Unsterblichen
Autoren: Jack Vance
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schwarzen Nachthimmel. Unten funkelte Clarges, und die Lichter erstreckten sich entlang des Stroms weit nach Norden und Süden.
    Der Sternenblitz kippte über den Scheitelpunkt seiner Flugbahn hinaus und stürzte heulend dem Melodienstrom entgegen.
    Im Innern saß reglos die Frau, mit funkelnden Augen, das Gesicht eine zur Bewegungslosigkeit erstarrte Maske. Clarges, das geliebte Clarges, fiel auf sie zu. Sie warf einen letzten Blick auf das ölige schwarze Wasser, auf dessen Oberfläche trübe Ranken aus reflektiertem Glanz schwammen.

 
NEUNZEHN
     
1
     
    Eine sonderbare Ruhe hatte die Stadt erfaßt. In den von den Nachrichtenmedien am Morgen herausgegebenen Meldungen fanden sich nur einige vorsichtige Andeutungen in Hinsicht auf die Ereignisse, die sich in der vergangenen Nacht zugetragen hatten. Offenbar war man sich nicht darüber im klaren, welche konkrete Haltung man dazu einnehmen sollte. Die Bürger befaßten sich wie gewohnt mit ihrem Steigungswetteifer und besaßen nur eine verschwommene Vorstellung von den unerhörten Taten Gavin Waylocks.
    Unter den Amarant rief der Name Gavin Waylock erheblich stärkere Erregung hervor – denn als Waylock zur Konklave gesprochen hatte, war die Plünderung der Zellen bereits abgeschlossen gewesen. Vierhundert Gewölbe, Bruthorte, Festungen, Keller, Geheimkammern und abgelegene Bollwerkhütten waren aufgebrochen worden. Waylocks Mietlinge stürmten hinein und blieben überrascht stehen, als sie die Bottiche erblickten, die gepolsterten Boxen, die nackten Simulacra. Unschlüssiges Zögern breitete sich aus, dann boshafte Freude. Die Simulacra wurden aus den Boxen geholt, in die Nacht hinausgeleitet und dort in die Freiheit einer seltsamen Welt entlassen – insgesamt eintausendsiebenhundertzweiundsechzig.
    Viele Amarant behaupteten im Rückblick, es im gleichen Augenblick gespürt zu haben, als die Zellen ihrer Surrogate gewaltsam geöffnet wurden. Ihre innere Qual war ungeheuer. Jetzt waren sie verwundbar, die vielen Übertragungssitzungen ihres Sinns beraubt, die sorgsame Pflege war nutzlos geworden, die Ichverbindung zerstört. Die Ewigkeit oblag nur noch der Gnade des Zufalls.
    Vierhundert Amarant, die sich plötzlich dem tödlichen Risiko von Unglücksfällen ausgesetzt sahen, reagierten mit psychotischer Übertreibung. Sie flohen in die Separation, schwitzten in großen Zimmern und wagten sich nicht mehr ins Freie, aus Furcht, sie könnten unter einem abstürzenden Luftwagen begraben werden oder einem mordlüsternen Amokläufer begegnen.
    Der Rat der Tribunen kam zusammen, um den Fall zu beraten, doch als er von der Presse interviewt wurde, gab er nur unbestimmte Kommentare ab.
    Kanzler Imish veröffentlichte eine Verlautbarung, die Waylock scharf verurteilte. Er betonte, Waylock habe, indem er sich als Vizekanzler ausgab, unangemessen Gebrauch von diesem Titel gemacht und keinesfalls die offizielle Position vertreten.
    Die Öffentlichkeit verarbeitete die Neuigkeiten und begann darauf zu reagieren. Einige waren über die Mißachtung der Tradition alarmiert, andere empfanden klammheimliche Freude. Man betrachtete Waylock einerseits als Märtyrer und andererseits als einen Verbrecher, der verdientermaßen befördert worden war. Nur wenige konnten noch konzentriert ihrer Arbeit nachgehen. Tausende vergeudeten Zeit damit, die sonderbare Angelegenheit zu diskutieren. Wohin sollte das führen? Die Stunden verstrichen, reihten sich zu Tagen aneinander, und Clarges wartete.
     
2
     
    Vincent Rodenave war während der Ereignisse jener dramatischen Nacht ebenfalls aktiv gewesen. In einem gemieteten Luftwagen flog er ins Souveränhochland, das sechzig Kilometer nördlich von Clarges lag, und landete neben einer kleinen, abgelegenen Villa. Nach einigen Mühen brach er den Eingang auf und verschaffte sich Zugang zur Zentralkammer.
    In den Boxen aus blauem Satin lagen drei Versionen Der Anastasia de Francourt – Simulacra der echten Anastasia. Die beschatteten Augen waren geschlossen. Sie befanden sich in einer Art Trancezustand, und selbst das kurze und gekräuselte schwarze Haar schien zu Bewegungslosigkeit erstarrt zu sein.
    Rodenave konnte das starke Drängen seiner Empfindungen kaum noch kontrollieren. Er beugte sich vor, um die nackte Haut mit bebenden Händen zu liebkosen.
    Die Anastasia, die Rodenave berührt hatte, erwachte. Gleichzeitig wurden auch die beiden anderen munter.
    Sie gaben einen überraschten Schrei von sich. Verwirrt und verlegen blickten sie nach
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