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Karrieresprung

Karrieresprung

Titel: Karrieresprung
Autoren: Klaus Erfmeyer
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Nun hat der Käufer feuchte Wände im Haus entdeckt und fordert Schadensersatz. Nächste Woche ist Gerichtstermin. Ich möchte, dass Sie sich einarbeiten.«
    Knobel schlug zögernd die Akte auf.
    Der Vorgesetzte bemerkte Knobels ungläubiges, in der verteidigenden Zaghaftigkeit des Anfängers wurzelndes Staunen darüber, dass ihm dieser Prozess übertragen werden sollte.
    »Ich habe zur selben Zeit einen unaufschiebbaren Termin«, erklärte Löffke, »und von den anderen kommt aus Zeitgründen ebenfalls keiner in Betracht. – Sie müssen sich einarbeiten. Jeder muss das. – Herr Rosenboom wird selbst zum Gerichtstermin kommen«, fügte er hinzu, und Knobel spürte die in dieser Ankündigung enthaltene Ermahnung.
    Plötzlich wurde Löffke unvermittelt milde.
    »Lesen Sie die Akte in aller Ruhe durch. Ich habe alles Wichtige bereits schriftsätzlich vorgetragen. Sie müssen es nur nachvollziehen und vor Gericht im Bilde sein. Und natürlich können Sie mich jederzeit fragen.«
    Knobel scheute, Löffke Fragen zu stellen, nachdem er gelernt hatte, dass Löffke seine Fragen gewöhnlich mit mehreren Gegenfragen zu beantworten pflegte, die das konkrete Problem in einen übergeordneten Zusammenhang einbetten und den Schüler – seiner kapitalen Wissensdefizite einsichtig – zur vertiefenden Nacharbeit anhalten sollten. Doch jetzt nahm er das Angebot dankend an.
    Die unerwartet auf ihn einstürzende Verantwortung schreckte ihn auf und ängstigte ihn. Unsicher eilte er in sein Zimmer zurück.

    Knobel arbeitete sich in den nächsten Tagen gewissenhaft in die Akte ein, las immer wieder die gewechselten Schriftsätze und unterstrich die ihm wesentlich erscheinenden Passagen. Obwohl der Fall beim ersten Lesen keine besonderen Schwierigkeiten aufwies, drängte es ihn mit geradezu nervösem Eifer zu einem außergewöhnlich gründlichen Aktenstudium, das zunächst die aus der Akte ersichtlichen Fakten mehr verschleierte, anstatt sie deutlich hervortreten zu lassen. Die Tätigkeit der ersten Monate bei Dr. Hübenthal hatte ihn blind werden lassen.

    Lisa sah ihren Mann nun abends in Fachliteratur vertieft, die er heranzog, um jede rechtliche Facette des Falles zu ergründen. Der Fall Rosenboom war mit einem Mal wichtiger geworden als jeder Fall, von dem Lisa berichten konnte.

    Am Abend vor dem Termin kam ihm unvermittelt ein Gedanke, der ihn noch eifriger machte. Knobel erkannte plötzlich eine mögliche Lösung des Falles. Doch er unterdrückte seine unsichere Euphorie und prüfte wieder und wieder.
    Im Schein der Stehlampe subsumierte er vor dem mit Büchern und Konzeptpapier übersäten Couchtisch ein letztes Mal. Dann erhob er sich.
    Lisa fragte nicht nach, und er schwieg bedeutungsvoll.

6
    Knobel hatte seinen besten Anzug angezogen, über das neue weiße Oberhemd noch die zugehörige Weste gestreift, sich eine halbe Stunde früher vor dem Sitzungssaal eingefunden und sich dann zunächst bis kurz vor Verhandlungsbeginn im Schatten einer Säule versteckt, aus dem er klopfenden Herzens mit festen Schritten heraustrat, als sich vor dem Saal ein Mann eingefunden hatte, der nach Löffkes Beschreibung sein Mandant sein musste.
    Der Mann war Ende fünfzig und von kleiner drahtiger Statur. Knobel fielen sein brauner Teint und die zurückgekämmten glatten schwarzen Haare auf.
    »Knobel«, sagte er und lächelte unsicher, entschuldigte sofort haspelnd Löffkes Fernbleiben und den Umstand, dass er nur dessen Vertreter sei und fürchtete im selben Moment, mit diesen Worten Rosenbooms Fall die ihm zukommende Bedeutung genommen zu haben. Er fühlte sich unglücklich, errötete und begann stakkatoartig den Akteninhalt zu referieren, um seinem Mandanten zu zeigen, dass er mit der Akte bis ins Detail vertraut war.
    Knobel gab zu bedenken, dass ein vom Kläger dem Gericht bereits vorgelegtes Gutachten eines befreundeten Architekten die Feuchtigkeitsschäden in dem seinerzeit verkauften Haus bestätigt habe.
    Rosenboom wischte die Zurückhaltung seines Anwalts beiseite. Er beschwor bei allem, was ihm heilig sei, dass er sich nichts vorzuwerfen habe. Jetzt gehe es um die Wahrheit.
    Knobel nickte. So stand es auch in der Akte.
    Die Sache wurde aufgerufen. Die knarzende Lautsprecherstimme ließ Knobel unweigerlich zusammenzucken. Umständlich streifte Knobel seine neue Robe über.
    Rosenboom strebte im Saal energischen Schrittes zum Beklagtentisch.
    Knobel folgte ihm. Gemeinsam nahmen sie hinter dem schweren Eichentisch rechts vor der
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