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Karrieresprung

Karrieresprung

Titel: Karrieresprung
Autoren: Klaus Erfmeyer
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Anwälte, Sekretärinnen und Bürogehilfinnen zu physikalischen Gefäßen stilisiert zu sehen. Alle begleiteten in verzahnter Arbeitsteilung das Leben einer Akte von ihrer Anlage bis zu ihrer Vernichtung und sorgten somit für einen gleich hohen Akten-Pegelstand. Nur die Höhe des Pegelstandes schien auf geheimnisvolle Weise all die Jahre ständig geklettert zu sein. Und er wusste, dass die unzähligen Akten nur schwach die Mühsal und die zahllosen langen Abende im kalten weißen Neonlicht erahnen ließen.
    Der wolkige Qualm aus Löffkes frisch angezündeter Zigarette riss ihn aus seinen Gedanken.
    »Das hier sind alles Rosenboomakten«, dozierte Löffke und trat dabei leicht gegen einen Schrank in der rechten Ecke. »Der Name Tassilo Rosenboom sagt Ihnen hoffentlich etwas?«
    Löffkes Rauchwolke traf ihn mitten ins Gesicht.
    Knobel nickte. Um die Rosenboom-Mandate war es bereits im Vorgespräch mit Dr. Hübenthal gegangen. Ganz im Gegensatz zu seiner geschäftigen, sich auf das Wesentliche beschränkenden Eile hatte der Senior farbig und detailfreudig die Entstehung dieses Mandatsverhältnisses geschildert, das in einer Schulkameradschaft zwischen ihm und Tassilo Rosenboom wurzelte. Mit bewundernden Worten hatte Dr. Hübenthal die Entwicklung der Firma Rosenboom zum bedeutenden Elektrogeräteunternehmen illustriert, der noch immer ihr Gründer vorstand. Von Beginn an war die Firma Rosenboom Garant zahlreicher umsatzträchtiger Mandate und darüber hinaus vermittelnder Auslöser für ebenso attraktive geldträchtige Folgemandate.
    Die Rosenboom-Mandate blieben den 100er-Zimmern vorbehalten. Der Name Rosenboom forderte bevorzugte Bearbeitung und bedeutete deshalb Chefsache.
    Löffke wies ihn in 307 ein. Ein kleines helles Zimmer, weiße Raufaser an den Wänden, Dachschräge mit zwei schmalen Kippfenstern und Blick auf mächtige Buchenkronen, die dem weiträumigen Garten im Sommer einen willkommenen Schatten spendeten.
    In den Regalen standen die wichtigsten juristischen Kommentare in älteren Auflagen. Knobel ahnte den Lebenslauf dieser Bücher, ihren druckfrischen Beginn in den 100er Büros, um nach Erscheinen der Folgeauflage in die nachrangigen Büros zu wechseln und schließlich, abgegriffen und vergilbt, in den Mansardenzimmern unterm Dach zu enden. Im Gegensatz zu den Karrieren der erfolgreichen Anwälte strebte das veraltete Schriftgut aus dem privilegierten Erdgeschoss nach oben.
    »Ich denke, Sie finden sich zurecht.«
    Löffke öffnete eine Tür im Wandschrank.
    »Hier unten gibt’s sogar einen Kühlschrank.«
    Er lachte heiser auf.
    »Natürlich von Rosenboom. – Ansonsten fragen Sie mich. Sie finden mich auf 104«, sagte Löffke und verließ das Zimmer.
    Knobel musterte das ihm zugeteilte Büro, betrachtete den unter dem Schreibtisch aufgeriebenen steingrauen Teppichboden und nahm hinter dem schlichten furnierten Schreibtisch Platz. Der alte Kunstledersessel mit seinen speckig glänzenden Armlehnen quietschte, als er sich in ihm bewegte. Eine Neon-Deckenlampe flackerte knisternd.
    Büro 307 hatte nichts von der Atmosphäre der Räume im Erdgeschoss, erst recht nichts von Dr. Hübenthals Büro 101. Es fehlten sämtliche Attribute, die einen Besucher beeindruckt hätten. 307 gestattete keine wichtigen Gespräche vor der Kulisse langjährig zusammengetragener Periodika, die mit ihren dunklen ledernen Buchrücken und eingeprägten fortlaufenden Jahreszahlen das beständige Studium juristischer Zeitschriften suggerierten. Und es gab keine Sitzgruppe, in die er sich mit seinem Mandanten zur wichtigen Konferenz hätte zurückziehen können.
    Die Luft in 307 schmeckte nach Essig und Zitrone. Es war ein bis in die Winkel reinliches kaltes Zimmer.
    Knobel sah durch die von getrockneten Regenschlieren übersäten Fenster in den tristen Januarhimmel.

2
    Knobel hatte sich für den Anwaltsberuf entschieden, nachdem er Lisa kennen gelernt hatte. Lisas Vater führte in der Dortmunder Innenstadt am Alten Markt eine namhafte Kanzlei und bereitete seine Tochter zielstrebig auf den späteren Eintritt in sein Büro vor. Obwohl sie noch am Beginn ihres Studiums stand, durfte sie bereits die Einrichtung für ihr zukünftiges Büro auswählen.
    Lisa war eine Hörsaalbekanntschaft. Stephan Knobel hatte sie ausgewählt, als er das behütete dörfliche Zuhause im münsterländischen Telgte mit einer Wohnzelle in einem Bochumer Studentenwohnheim getauscht hatte und sich mit dem Beginn der ersten Vorlesungen in ein Meer
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