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Karrieresprung

Karrieresprung

Titel: Karrieresprung
Autoren: Klaus Erfmeyer
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unbekannter Gesichter geworfen fühlte. Der Beginn des Studiums war ein Abschied von bemäkelter und bequem genossener elterlicher Umsorgung und zugleich der mutige und ängstliche Schritt in eine ungewohnte räumliche Beschränkung, die ihm trotz der Enge wie ein Hineinfallen in schlagartig überwältigende Leere erschien. Der Umzug ging einher mit der fröstelnden Erkundung von Sammelwäschereien und schmierigen Wohnheimküchen mit angelaufenen fettigen Edelstahltöpfen und bunt zusammengewürfeltem alten Geschirr. Der Verlorenheit in den anonymen Hörsälen folgte die Einsamkeit in seiner Zelle, und Knobels Gedanken kreisten schnell um die Idee, das fade Studium wieder aufzugeben und in seine vertraute dörfliche Heimat zurückzukehren.

    Zuerst waren ihm Lisas Wangengrübchen aufgefallen, die sich besonders ausbildeten, wenn sie lachte. Lisa lachte viel. In dem Kreis von Kommilitonen, der sich um sie scharte, war sie häufig Mittelpunkt. Lisa dirigierte, sie fragte nicht viel. Das fiel ihm schnell an ihr auf.
    Knobel hatte sich ihr über Wochen hinweg genähert, sich im Hörsaal zu ihr vorgearbeitet, wie zufällig seinen Platz immer näher dem ihren genommen, den Hörsaal nach ihr betreten, wenn sie, ohne ihn zu bemerken, die Mauernische vor dem Hörsaaleingang passiert hatte, in der er verborgen wartete. Aber er setzte sich im Hörsaal nie direkt neben sie.
    Mal saß er ein oder zwei Reihen vor oder hinter ihr, manchmal auch drei, vier Plätze neben ihr, verfolgte aufmerksam ihre leisen Gespräche mit ihren Nachbarn, schnappte begierig auf, woraus sich manche privaten Informationen über sie erschloss und begann sie so bereits zu einem Zeitpunkt kennen zu lernen, als sie ihn noch gar nicht bewusst beachtet hatte.

    Er trat erst in ihr Leben, als er sie zufällig in einem Kaufhaus im Bochumer Uni-Center getroffen hatte. Als sie ihn grüßte, gelang es ihm schüchtern, sie in ein Gespräch zu verwickeln und auf dem Höhepunkt schließlich, sie endlich auf eine Tasse Tee in ein Café einzuladen.
    Sie unterhielten sich über die gerade im Studium zu absolvierenden Prüfungen, alberten gemeinsam über schrullige Kommilitonen und schweiften in private Belanglosigkeiten ab. Knobel nutzte sein heimlich über Lisa gesammeltes Wissen, ließ wie an einer Perlenkette aufgereiht Stichworte einfließen, die er auf sich bezog, und die sie natürlich gerne aufnahm und schließlich ihre Interessen und Meinungen in den seinen gespiegelt sah. Fortan saß er im Hörsaal häufig neben ihr. Außerhalb der Vorlesungen übten sie gemeinsam mit Kommilitonen Zivil- und Strafrecht, wechselnd mal bei dem einen und mal bei dem anderen. Man hielt die Lernstunden in den elterlichen Wohnungen ab, die in biederen Wohnzimmern mit Kaffee und Gebäck ihren Anfang nahmen und sich in zu klein gewordenen Jugendzimmern fortsetzten. Dort saß man mit dem Gesetzbuch auf den Knien an kleinen Schreibtischen oder auf Teppichböden und diskutierte.
    Bei Lisa war es anders. Die Zusammenkünfte bei ihr führten in eine noch ferne erwachsene Welt. Lisa war einziges Kind ihrer Eltern und bewohnte im ausgebauten Dach des väterlichen Hauses in der Dahmsfeldstraße im Dortmunder Süden eine vollständig eingerichtete eigene Wohnung. Gelernt wurde stets in ihrem weiten hellen Wohnzimmer. Man saß bequem in ihren weißen weichen Sofas und philosophierte über Sinn und Unsinn der Vorlesungen und Seminare.
    In Lisas Wohnung waren alle erwachsen und ihrer Zeit voraus. Ihre Wohnung war zu groß für eine mit dem Bestehen des Abiturs hinter sich geglaubte und nun mit Macht umso heftiger zurückkehrende Zeit zermürbender Büffelei.
    Sie kamen sich näher, als ihm Lisas Wangengrübchen nicht mehr auffielen. Das bevorstehende Examen hatte alle ernster und strebsamer gemacht und im Verein mit der überwältigenden Stofffülle eine nervöse Hektik ausgelöst, die der beständig knapper werdenden Freizeit jede Leichtigkeit nahm und die Beschäftigung mit privaten Dingen den Nachgeschmack des schlechten Gewissens bescherte.
    Das Pauken mündete in einen Kampf gegen das Vergessen des bereits Erlernten und erschöpfte sich schließlich darin, gebetsmühlenartig Skripten zu wiederholen und Merksätze einzupeitschen, deren wirkliche Bedeutung sich trotz der steten Wiederholung nicht übergreifend erschließen wollte.
    Jede Aufgabe wucherte bei näherer Betrachtung zu einem unbeherrschbaren Fundus rechtlicher Probleme und führte zu der bestürzenden Erkenntnis, dass das bereits
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