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Karrieresprung

Karrieresprung

Titel: Karrieresprung
Autoren: Klaus Erfmeyer
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ihm nicht bereits bei flüchtiger Prüfung präsent war. Knobel behielt zwar sein Büro in 307, aber er fand über das Privileg, häufiger gemeinsam mit Dr. Hübenthal und dessen Sozien aus dem Erdgeschoss mittags zum Essen gehen zu dürfen, allmählich Anschluss an die 100er-Riege.
    Man ging in das Dubrovnik , ein bürgerliches Restaurant an der Kaiserstraße, schräg gegenüber vom Landgericht und nur wenige hundert Meter von der Kanzlei entfernt. Auf dem Weg dorthin führte Dr. Hübenthal hastend die kleine Gruppe an, flankiert von Löffke, der die Prozessergebnisse des Vormittags referierte. Ihnen eilte Dr. Reitinger aus 102 hinterher, um Anschluss an Dr. Hübenthal bemüht und doch zumeist darauf verwiesen, mit Kollegin Meyer-Söhnkes aus 103 in zweiter Reihe vorlieb zu nehmen. Zu ihnen gesellte sich Knobel, wenn er mit den Sozien zum Essen gehen durfte.
    Hin und wieder ließ sich Dr. Hübenthal in die zweite Reihe zurückfallen und erkundigte sich beiläufig bei Knobel nach dem Stand der von ihm betreuten Rosenboom-Mandate.
    Knobel vermutete, dass die Einladungen zum Mittagessen allein darin bestanden, die Neugier des Seniors zu stillen, nachdem er sich der direkten Kontrolle über diese Akten begeben hatte.

    Das Privileg des gemeinsamen Mittagessens mit den Sozien im Dubrovnik erwies sich indes als zweifelhaft.
    Löffke vervollständigte in dem schummrigen Lokal die auf dem Fußweg begonnene Berichterstattung seiner erfolgreich abgeschlossenen Fälle. Seine farbigen Schilderungen waren voller Dramatik, die Knobel in seinen eigenen Gerichtsterminen so misslich entbehren musste. Die Zivilprozesse kannten keine flammenden Plädoyers. Doch bei Löffke musste es anders sein. Er redete die Richter nieder, wenn sie anfänglich noch anderer Auffassung waren und überraschte mit frei vorgetragenen Zitaten aus höchstrichterlichen Entscheidungen, die der ohnehin nur selten drohenden Niederlage gerade noch rechtzeitig den entscheidenden Impuls zur Wende gaben.
    Frau Meyer-Söhnkes, eine kleine zarte Frau mit blassem Sommersprossengesicht, die während ihrer Arbeit in der Kanzlei kaum ihr Büro verließ und auf den ersten Blick schüchtern und schwach wirkte, pflegte unter dem Eindruck der beim Mittagstisch ausgetauschten Erfolge eine der seltenen Gesprächspausen auszunutzen, um dann schließlich unerwartet lärmend von ihren Fällen zu berichten.
    Einzig Dr. Reitinger erging sich nicht in der Schilderung einzelner Fälle. Stattdessen wartete er mit statistischen Auswertungen seiner Leistung auf, wusste von vierundzwanzig eigenen Posteingängen an einem einzigen Tag, einer in zweieinhalb Stunden gefertigten sechsunddreißigseitigen Klageschrift und sieben Mandantenbesprechungen am gestrigen Nachmittag zu berichten.
    Zusammen feierten sie bei Tisch viele Erfolge.
    Knobels stilles Resümee seiner ersten Monate war eher nüchtern: Neben dem erarbeiteten Erfolg gab es den fast zufällig gewonnenen, ebenso den unverschuldet verlorenen Prozess und schließlich auch die verschuldete Niederlage. Doch er übte sich darin, bei Tisch mitzuhalten. Es gab Tage, an denen auch er ausschweifend von der Kapitulation des Gegners berichten konnte.

9
    An einem heißen Juliabend fuhr er zu Rosenboom hinaus in die Südbecke. Rosenboom hatte ihn zu Hause angerufen und um ein persönliches Gespräch über einen neuen Fall gebeten.
    Lisa war noch nicht aus der Kanzlei zurück. Gewöhnlich arbeitete sie nun länger als ihr Mann und kehrte häufiger mit ihrem Vater heim. Im Sommer nahmen sie manchmal das Abendbrot zu dritt auf der Terrasse ein. Lisa saß dann auf der alten blaulackierten Holzbank, die ihr Vater vor vielen Jahren erworben hatte, und legte ihre Beine übereinander geschlagen auf die Bank, während ihr Vater, der Anzugjacke entledigt, noch immer mit Krawatte, ihr gegenüber Platz nahm. Lisa und ihr Vater redeten über Personen, die Knobel entweder gar nicht oder nur vom Namen her kannte. Wenn er Lisa selbstzufrieden halb sitzend, halb liegend auf der Bank sah, fühlte er sich ihr gegenüber fremd. Er wusste nicht, warum gerade dieses Bild ihn erst fremdeln ließ und schließlich sogar verärgerte, doch er sagte nichts. Seine Wut schäumte nicht nach außen, sie war vergänglich, und er wartete still, bis sie sich verflüchtigte.
    Solange ihr Vater mit am Tisch saß, blieb Lisa geschäftlich. Zumeist ging es nicht um wirklich wichtige Belange.
    Knobel merkte, dass Lisa mit ihrem Vater am besten belanglos reden konnte, wenn sie mit
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