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Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela

Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela

Titel: Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela
Autoren: Sabine Dankbar
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So sprachen wir über den Satz »Liebe deinen Nächsten so wie dich selbst.« Natürlich kannte ich diesen Ausspruch, aber ich hatte den ersten Teil immer als den wichtigeren angesehen, ihn viel mehr verinnerlicht als den zweiten Teil. Ich denke, es geht vielen so wie mir. Wer sagt denn schon: »Ja, ich liebe mich. Ich liebe mich so, wie ich meine Nächsten liebe.« Hat man nicht oft die anderen viel mehr im Blick als sich selbst? Und selbst wenn man sagt: »Ich liebe mich selbst genauso wie meinen Nächsten«, kann es dann nicht passieren, dass der Vorwurf kommt, man sei egoistisch und habe nur sich selbst im Blick. Pater Erich sagte uns deutlich, dass die Liebe zu Gott, die Liebe zu seinem Nächsten auch die Liebe zu sich selbst beinhalte. Ein Mensch, der keine Liebe zu sich selbst empfinde, sei nicht imstande, andere aufrichtig zu lieben, denn diese Liebe sei immer nur ein Ersatz. Ein Mensch, der aber zu viel Eigenliebe besitze, der habe zu wenig Platz für die Nächstenliebe. Deshalb sei das richtige Maß wichtig, ein gleichwertiges Maß wie »Liebe deinen Nächsten so wie dich selbst.« Ich war fasziniert, begeistert und erleichtert. Gerade die Entscheidung für meine Kündigung machte mir zwischendurch immer wieder zu schaffen. Oft plagte mich mein schlechtes Gewissen. War ich zu egoistisch gewesen? Gegangen zu sein, obwohl alle mit mir rechneten? Gewohnte Abläufe auf den Kopf gestellt zu haben und damit anderen Veränderungen zugemutet zu haben? Das Nachdenken über diesen Impuls beruhigte und versöhnte mich. Es war richtig gewesen zu gehen. Eine unzufriedene Chefin, die hart gegen sich selbst war, konnte den Mitarbeitern gegenüber nur schwer eine gute Chefin sein. In St. Konrad konnte ich mich sogar endgültig mit meinen gescheiterten Beziehungen versöhnen, mit denen ich offensichtlich, trotz meiner Empfindungen auf dem Jakobsweg, immer noch gehadert hatte. Ich war immer noch verletzt, obwohl ich die Trennungen grundsätzlich gut bewältigt und verarbeitet hatte, so glaubte ich jedenfalls. Hier musste ich feststellen, dass mich eine Lesung aus dem Korintherbrief total aus der Fassung brachte, aber gleichzeitig auch dafür sorgte, abschließen zu können. »Gott ist treu, er bürgt dafür, dass unser Wort euch gegenüber nicht Ja und Nein zugleich ist...in ihm (Jesus Christus) ist das Ja verwirklicht. Er ist das Ja zu allem...« Hier ließ ich nochmals den Schmerz zu - bis zu dem Kennenlernen von Gu - mit jeder Beziehung gescheitert zu sein. Kein richtiges Ja zustande gebracht zu haben oder aber kein richtiges Ja bekommen zu haben. Ich heulte Rotz und Wasser, fühlte erneut die Verzweiflung der damaligen Momente. Fühlte mich klein und schrecklich. Aber mit jeder Träne wurde etwas von dem alten Schmerz weggespült. Ich fühlte mich getröstet. Im Gespräch mit Pater Erich bekräftigte er die Passage mit den Worten: »Er sagt Ja, wenn alles Nein sagt.« Diese Worte verleihen mir Kraft, auch heute noch, immer wieder. In schwierigen Situationen, dann wenn ich Zweifel habe, sage ich mir diese Worte. Sie erleichtern mich, denn ich weiß die göttliche Kraft an meiner Seite.
    Nach den Exerzitien begann auch schon das erste Seminar der Ausbildung. Eine große Gruppe war zusammengekommen, 24 Frauen und Männer wollten systemische Beraterinnen und Berater werden. Anfangs war ich skeptisch, wie wir mit so vielen Leuten eine vernünftige Seminararbeit hinbekommen sollten. Unsere beiden Ausbilder schafften es jedoch, uns vom Gegenteil zu überzeugen. Heute bin ich über die Größe der Gruppe sogar sehr froh. Unsere Gruppe war so unterschiedlich zusammengesetzt, dass ihre Vielfalt ein weites Lernfeld zuließ. Der Spannungsbogen an Erfahrungen der einzelnen Persönlichkeiten bereitete uns optimal auf die systemische Arbeit in der Praxis vor. Zudem fanden auch noch Supervisionen mit der Hälfte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer statt. Sehr regelmäßig trafen wir uns außerdem mit einer noch kleineren Gruppe zum Lernen. Meine Peergruppe hatte einen großen Anteil daran, dass ich soviel aus der Ausbildung mitnehmen konnte. Wir befanden uns also in einem kontinuierlichen Lernprozess. Damals im Oktober konnte ich aber von diesen positiven Erfahrungen noch nichts wissen. Mich trieben eher Fragen um: Würde mir diese Ausbildung inhaltlich wirklich gefallen? Würde ich ganz konkret etwas damit anfangen können? Würde sich dadurch mein zukünftiges Berufsbild stärker herauskristallisieren? Wie würde ich in der Gruppe
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