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Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin

Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin

Titel: Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin
Autoren: Kate Pepper
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maßlose Geringschätzung, die sich in diesem Mord ausdrückte, entsetzte mich noch mehr als der Leichnam selbst. Als ehemalige Soldatin und Polizistin hatte ich viele Tote gesehen, und dennoch würde ich mich nie an das Grauen, die Willkür und die morbiden Beweggründe gewöhnen, die zu solch einem heimtückischen Akt führten.
    Urplötzlich wurde mir schwindelig. Rasch ging ich über die Straße zur gegenüberliegenden Ecke, lehnte mich an das Parkschild, schloss die Augen und wartete, bis es mir wieder besser ging »Hat sie’s jetzt auch mit dem Magen?«, hörte ich La-a meckern.
    »Sieht ganz so aus«, entgegnete Billy, doch ich vermutete, dass er den wahren Grund für mein Verhalten kannte. Mir fiel auf, dass er der Toten den Rücken zuwandte. Auf diese Weise verhinderte er, dass ihr Anblick den nächsten Flashback auslöste.
    Ich beobachtete, wie auf der anderen Straßenseite der Leichnam in einen schwarzen Sack gesteckt und danach auf eine Bahre gelegt wurde. Jetzt, wo die junge Frau in dem Sack lag, wirkte sie kaum größer als das angefahrene Mädchen. Die Bahre wurde in den Krankenwagen geschoben, der dann langsam wegfuhr.
    Nachdem beide Krankenwagen sich entfernt hatten – der eine in Richtung Hospital, der andere in Richtung Rechtsmedizin -, konnte ich aus der Ferne beobachten, wie der andere Tatort sich ebenfalls leerte. Der weiße Van verschwand in einer Seitenstraße, und der letzte Ermittler packte seine Habseligkeiten zusammen.
    Billy sagte irgendetwas zu La-a, das ich nicht hören konnte. Sie schüttelte den Kopf, verdrehte die Augen und ging weg. Während Billy auf mich zuschritt, sah ich, wie La-a auf einen Mitarbeiter der Gerichtsmedizin zusteuerte, der am Fundort der Leiche ausharrte. Eine weiße, von Blutspritzern getränkte Kreidelinie, mit der die Position der Toten gekennzeichnet worden war, leuchtete im Dunkeln: eine Art Andenken, die beim nächsten Regenguss auf Nimmerwiedersehen verschwinden würde.
    »Lass uns abhauen«, schlug ich Billy vor. »Ich bringe dich nach Hause.«
    »Nein, ich bringe dich nach Hause.«
    »Ich bin mitten in der Nacht losgerannt, um dir zu helfen; dann nimm die Hilfe bitte auch an.«
    »Du hast mir doch schon geholfen. Und jetzt geht es mir besser.«
    »Ach, einfach so?«
    Er nickte. »So ein Flashback ist wie ein Zusammenstoß mit einem Güterzug. Doch danach fährt er einfach weiter.«
    »Erwecke ich den Eindruck, ich hätte Bock, jetzt mit Ihnen zu reden?«, hörte ich La-a laut schimpfen, woraufhin Billy und ich uns umdrehten. Einer der Kerle aus dem Van des Fernsehsenders war mit gezücktem Mikrophon auf sie zugeeilt. Er musste ein Neuling sein, der La-a noch nicht kannte, denn die alten Hasen passten den richtigen Augenblick ab.
    »Ich will Ihnen doch nur eine Frage stellen.«
    »Was habe ich gerade gesagt?«
    Der Reporter starrte sie an.
    »Ich habe gefragt, was ich gerade gesagt habe!«
    »Sie sagten ...«
    »Stimmt genau.« Sie machte auf dem Absatz kehrt und kommandierte wieder den Mitarbeiter von der Spurensicherung herum, der etwas sagte, das ich nicht verstehen konnte, La-a jedoch gut gelaunt auflachen ließ.
    »Sie ist schon ’ne Nummer, was?«, murmelte Billy.
    »Ich kann sie eigentlich ganz gut leiden, auch wenn du mich für verrückt hältst.«
    »Sie beherrscht ihr Handwerk ... unser Handwerk.«
    »Du musst es ihr sagen, Billy.«
    »Ich weiß.«
    Gemeinsam schlenderten wir die Nevins Street in Richtung meiner Wohnung hinunter. Die Stelle, wo man das Mädchen gefunden hatte, war nun leer bis auf ein paar Pflaster, die ein Rettungsassistent zurückgelassen hatte.
    Wir bogen in die Bergen Street und kehrten damit in die anheimelnde Sandstein-Enklave zurück, die ich inzwischen als meine Nachbarschaft betrachtete und deren Größe – wie in New York üblich – in Straßenblocks gemessen wurde. Manchmal musste man tatsächlich nur einen halben Straßenblock weit gehen, und schon landete man in einer ganz anderen Welt.
    »Wie spät ist es?« Nachdem ich meine Armbanduhr beim Geschirrspülen abgelegt hatte, fehlte mir jedwedes Zeitgefühl. Es hätte ein oder auch fünf Uhr nachts sein können. Mit Sicherheit wusste ich nur, dass es immer noch dunkel und bitterkalt war.
    »Zeit für einen Drink. Kommst du mit rein?«
    Wir standen an der Ecke Bergen und Hoyt Street vor dem Brooklyn Inn, einer Kneipe aus dem neunzehnten Jahrhundert, in der ich noch nie gewesen war.
    Ich gähnte. »Warum nicht?«, erwiderte ich trotz meiner Müdigkeit, da ich nicht
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