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Karibische Affaire

Karibische Affaire

Titel: Karibische Affaire
Autoren: Agatha Christie
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setzen. ›Lange kann er nicht bleiben‹, dachte Miss Marple, ›denn auch er muss sich fürs Dinner umziehen, und er diniert gewöhnlich ziemlich früh.‹ Also sprach sie ohne Umschweife über ihren Nachmittag bei Molly Kendal.
    »Nicht zu glauben, wie rasch sie sich erholt hat«, sagte sie.
    »Nun, das ist nicht weiter erstaunlich«, sagte Dr. Graham. »Die Überdosis war nicht so groß, wissen Sie.«
    »Oh – und ich war der Meinung, sie habe die halbe Packung auf einmal genommen!«
    Dr. Graham lächelte nachsichtig.
    »Aber nein«, sagte er, »so viel kann sie nicht genommen haben. Vielleicht hatte sie die Absicht, hat aber im letzten Moment die Hälfte davon weggeworfen. Sogar wenn sie zum Selbstmord fest entschlossen sind, wollen es die Leute oft nicht wirklich tun. Es passiert ihnen ganz einfach, dass sie nicht die volle Überdosis nehmen. Das muss gar kein Täuschungsversuch sein, das geschieht ganz unbewusst.«
    »Es könnte aber auch Absicht dabei sein. Wenn man zum Beispiel den Anschein erwecken wollte, dass man…« Miss Marple machte eine Pause.
    »Zugegeben«, sagte Dr. Graham.
    »Wenn sie und Tim zum Beispiel Streit gehabt hätten…«
    »Die beiden streiten nicht, wissen Sie. Dazu haben sie einander zu gern. Natürlich, vorkommen kann es schon einmal… Nein, ich glaube nicht, dass ihr jetzt noch viel fehlt. Eigentlich könnte sie ja schon aufstehen und herumgehen wie sonst. Aber es ist doch sicherer, sie ein paar Tage lang im Bett zu halten.«
    Er stand auf, nickte Miss Marple freundlich zu und ging zum Hotel. Miss Marple blieb noch eine Weile sitzen.
    Verschiedene Gedanken gingen ihr durch den Kopf – das Buch unter Mollys Matratze – Mollys vorgeblicher Schlaf – das, was Joan Prescott und später Esther Walters gesagt hatten… Und dann dachte sie an den Anfang von all dem – an Major Palgrave… Irgendetwas gab es da – es hing mit Major Palgrave zusammen… Könnte man sich nur daran erinnern –

22
     
    V erwirrt setzte Miss Marple sich in ihrem Stuhl aufrecht. Unglaublich, sie war eingeschlafen – und das beim Spiel dieser mörderischen Tanzkapelle! Nun, das zeigte, dass sie sich an diesen Ort zu gewöhnen begann, dachte sie. Sie war aber auch wirklich recht müde. All diese Sorgen und das Gefühl, irgendwie versagt zu haben… Nur ungern dachte sie an den schlauen Blick, den ihr Molly unter halb geschlossenen Lidern zugeworfen hatte. Was mochte die junge Frau dabei gedacht haben? Wie anders hatte doch alles zu Anfang ausgesehen! Tim Kendal und Molly waren ein so natürliches, glückliches junges Paar gewesen! Dann die Hillingdons, von so angenehm guten Manieren, richtig »nette« Leute! Und der fröhliche, aufgeschlossene Greg Dyson mit seiner lustigen lauten Lucky, die immerfort redete und mit sich und der Welt zufrieden war… Wie gut diese vier miteinander ausgekommen waren! Und wie freundlich und jovial erst Kanonikus Prescott war! Joan Prescott hatte freilich eine scharfe Zunge, war aber eine sehr nette Frau, und nette Frauen müssen ihren Klatsch haben, müssen stets auf dem Laufenden sein, müssen wissen, wann zwei und zwei vier ist und wann es möglich ist, fünf daraus zu machen! Daran war nichts Böses! Auch Mr Rafiel war eine Persönlichkeit, ein Mann von Charakter, den man nie vergessen würde. Außerdem glaubte Miss Marple, noch etwas von Mr Rafiel zu wissen.
    Wie er erzählt hatte, war er von den Ärzten schon mehrmals aufgegeben worden. Diesmal aber, dachte sie, waren die Voraussagen noch bestimmter gewesen, und auch Mr Rafiel wusste jetzt, dass seine Tage gezählt waren.
    Wenn er das aber mit Sicherheit wusste, was würde er da wohl am ehesten tun?
    Miss Marple überdachte diese Frage, da sie ihr wichtig schien.
    Was war es nur, das er gesagt hatte, mit einer etwas zu lauten, zu sicheren Stimme? Denn auf Stimmfärbungen verstand sich Miss Marple – sie hatte in ihrem Leben schon sehr viel zugehört.
    Mr Rafiel hatte ihr eine Unwahrheit erzählt!
    Miss Marple blickte um sich. Die Nacht, der leichte Blumenduft, die Tische mit den kleinen Lichtern, die Frauen in ihren hübschen Kleidern – alles schien heute lustig und voller Leben. Sogar Tim Kendal lächelte wieder. Eben kam er an ihrem Tisch vorbei und sagte: »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll! Molly ist so gut wie gesund, der Doktor sagt, sie kann morgen wieder aufstehen.«
    Lächelnd freute Miss Marple sich über diese gute Nachricht, aber das Lächeln bereitete ihr Mühe. Sie war übermüdet!
    So stand
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