Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kardinalspoker

Kardinalspoker

Titel: Kardinalspoker
Autoren: Kurt Lehmkuhl
Vom Netzwerk:
unselige
Antrag zunächst einmal vom Tisch.
    Nach Jansen stimmten die Sprecher
der anderen Fraktionen dem Vertagungsantrag der KBG zu. Der einstimmige Beschluss
des Rates bedeutete zugleich das Ende der öffentlichen Sitzung. Müller bat die Zuhörer,
den Saal zu verlassen.
    Mit lautem Getöse leerte sich der
große Raum. Zwischen Unzufriedenheit und Entsetzen schwankte die Stimmung der Besucher.
Sie fühlten sich auf unerklärliche Weise ausgebremst, um den Lohn ihrer Bemühungen
gebracht. Da waren sie so kurz vor dem Ziel und dann fehlte plötzlich Kardinal,
der so engagiert ihre Interessen vertrat.
    Das durfte nicht sein. Das konnte
nicht sein. Aber es war so. Und es kam schnell die Ansicht auf: Da stimmt etwas
nicht! Und bestimmt war gekungelt worden, eben, als Müller mit den Politikern im
Geheimen beraten hatte.
     
    Wenig emotional reagierte Schlingenheim, als er gemeinsam mit dem SPD-Mann
Ringelzweig vor dem großen Aschenbecher im Raucherzimmer eine Zigarette rauchte.
    »Siehste, Alphons«, sagte er mit
großer Gelassenheit, »manche Dinge regeln sich von selbst.«
    Ringelzweig drückte nachdenklich
die Kippe im Sand aus. »Du bist gut. Ich bin gespannt, wie das ausgeht mit Kardinal.
Was ist, wenn der sogar tot ist? Dann wird jetzt noch zum Heiligen erkoren. Und
das ist das Schlimme.« Er lächelte verbittert. »Bisher ist er nur der Kardinal.«
    »Pah, Kardinal, dass ich nicht lache!«,
lästerte Schlingenheim. »Der Kardinal ist ein ganz mieser Schlammwerfer, ein Populist
und ein Verbrecher.«
    Ringelzweig schwieg zu dieser beleidigenden
Behauptung und dachte sich seinen Teil.

3.
     
    Die Frage verstörte ihn. Hatte er nicht einmal mehr in Huppenbroich
seine Ruhe? Konnte er nicht einmal mehr an einem stinknormalen Mittwochnachmittag
ungestört und unbehelligt durch das Dorf laufen?
    »Sind Sie Kommissar Böhnke?«, hatte
ihn der Mann gefragt, der offensichtlich vor der Einfahrt zum Haus an der Kapellenstraße
auf ihn gewartet hatte. Die Frage war mehr Feststellung als tatsächlich Frage gewesen,
und Böhnke neigte dazu, sie zu verneinen. Er war kein Kommissar mehr, er war pensioniert,
demnach Kommissar außer Dienst, ein kranker Mann, der wenige Monate vor dem 60.
Geburtstag stand und der aus gesundheitlichen Gründen in den vorzeitigen Ruhestand
geschickt worden war.
    Er musterte die rundliche, kleine
Gestalt, die ihn mit einem betrübten Blick anschaute. Ein unauffälliger Typ, schätzungsweise
70 Jahre alt, wahrscheinlich Rentner. Die Kleidung ließ auf ein bescheidenes Dasein
schließen. Ausgetretene braune Halbschuhe, abgewetzte Jeans, die viel von ihrem
Blau verloren hatten, ein blauer Pullover mit durchgescheuerten Ärmeln im Bereich
der Ellenbogen, unter dem ein ausgefranster Hemdkragen hervorlugte. Arm, traurig,
hilfsbedürftig. Konnte er da Nein sagen?
    Böhnke fuhr sich über sein kurz
geschnittenes, graues Haar. »Was kann ich für Sie tun?«, antwortete er mit einer
Gegenfrage und begann seinen tagtäglichen Spaziergang durch Huppenbroich. Der kleine
Mann würde ihm sicher folgen.
    Böhnke hatte sich für den Weg an
der Kapelle vorbei und zum Friedhof entschieden, dort würde er entweder umkehren
oder weiter hinaus in die freie Natur laufen. Er machte seine Entscheidung von seinem
körperlichen Zustand abhängig, aber auch von dem Gesprächsverlauf. Vielleicht war
die Unterhaltung ja interessanter, als er befürchtete.
    »Sie kennen mich nicht«, meinte
der Mann stockend. »Aber ich kenne Sie. Sie haben vor rund zehn Jahren meinen Sohn
Josef überführt.«
    »Und dafür wollen Sie sich heute
bei mir bedanken?«
    »Im Prinzip schon«, antwortete der
Kleine zu Böhnkes Verblüffung. »Sie haben damals dafür gesorgt, dass mein Sohn nicht
wegen Mordes angeklagt wurde, sondern nur wegen Totschlags.«
    Böhnke grübelte. Ein derartiger
Fall mit einem Täter namens Josef kam ihm nicht in den Sinn. War wohl eine unspektakuläre
Sache gewesen, quasi ein Routinefall. Ein kleines Licht, das statt lebenslänglich
›nur‹ zehn Jahre in den Bau musste. »Und was habe ich heute damit zu tun?«, wollte
er wissen.
    »Sie sind damals sehr fair zu meinem
Sohn gewesen und ich hoffe, Sie sind es jetzt wieder.«
    Böhnke stoppte und schaute verblüfft
auf seinen bereits schwitzenden Begleiter. Nur wegen der Herbstsonne konnte der
Kleine nicht ins Schwitzen geraten sein.
    »Verdammt noch mal, was wollen Sie?«,
brauste er auf. Er gab sich zorniger, als er tatsächlich war.
    »Ich glaube, mein Sohn hat noch
einen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher