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Karaoke

Titel: Karaoke
Autoren: Kaminer Wladimir
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Hause zwei Wochen lang zu pflegen. Die Firma versprach, danach die angewachsenen Gladiolen garantiert für hundertzwanzig Rubel zurückzukaufen. Überall hatten sie annonciert: »Tausend Zwiebeln, und Sie haben für drei Jahre ausgesorgt. Zehntausend Zwiebeln, und Sie sind ein reicher Mann!«
    Die Bewohner von Saratow brachten wie durchgeknallte Pinocchios ihr letztes Geld zu diesen Betrügern, obwohl man dort schon so viele Geldpyramiden und Pilotenspiele erlebt hat, so viel darüber gelesen und gehört hat. Anscheinend stirbt die Hoffnung auf eine schnelle und ultimative Lösung aller Probleme nie aus. Nach drei Tagen hatte sich die Firma in Luft aufgelöst, nur ein Anrufbeantworter gab die wertvollen Anweisungen immer weiter: »Zweimal am Tag gießen, die Töpfe an einem sonnigen Ort aufstellen.«
    Anders als früher hatte aber dieser Betrug eine positive Seite. Saratow ist in diesem Sommer besonders schön geworden. Die ganze Stadt ist voller Blumen, und man hört sich wieder alte Gladiolenschlager mit ruhigem Gewissen im Radio an. Einer lautet:
    Gladiolen blühen in jedem Garten,
    Ich küsse dich auf rosarote Wangen,
    Wolken zieh'n und Regen fällt,
    Ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt.
    In den Gärten verwelken die Gladiolen, Unsere Beziehung war nur gesponnen, Ohne Blumen geht's der Liebe schlecht, Sonne scheint, Wolken ziehen, Regen fällt.
     
    Meinst du, die Russen wollen Krieg?
     
    Nach vielen Jahren in Deutschland haben wir einiges gelernt, zum Beispiel das Wetter vorauszusagen. Es geht ganz einfach: Wenn Russland sich mit Schnee bedeckt und die Thermometer in Moskau bei minus zwanzig Grad einfrieren, dann rutscht zwei Tage später in Berlin die Temperatur auf null bis minus zwei Grad. Egal, was die Wetterfrösche im Fernsehen über warme Strömungen aus Richtung Atlantik erzählen, die Kälte kommt stets aus dem Osten und hat noch nie einen Bogen um Berlin gemacht.
    Neue Wetterverhältnisse bescheren uns regelmäßig neue Jobs. Im Dezember meldete sich die Firma Peugeot. Die Autohersteller wollten dieses Jahr ihre neue Kollektion als russisches Neujahrsfest dekorieren — Un Noel Russe. Uns fragten sie nun, ob wir uns an dem Abend eine Russendisko vorstellen könnten. Mein Kollege DJ Jurij hatte gerade nichts zu tun und sagte zu.
    Das Neujahrsfest fand in einem schicken Ausstellungsraum Unter den Linden statt. Drei Autos waren geschmackvoll mit künstlichem Schnee aus Plastik überschüttet worden, und überall stieß man auf große, blaue Matrjoschkas. Einige davon hatten einen Bart. An der Wand hing ein großer Adventskalender, gut gefüllt mit Peugeot-Gutscheinen. Außer der Russendisko hatten die Partyorganisatoren noch drei russische Schauspieler engagiert, die eine schwierige Aufgabe bewältigen mussten: Sie sollten während der ganzen Veranstaltung von einem Tisch zum anderen gehen, mit den Gästen Wodka trinken und ihnen russische Märchen vorlesen. Als Ausrüstung bekam jeder Schauspieler ein Kinderbuch mit Märchen und eine Flasche Wodka. Zum Essen gab es Pelmenis, Sandwiches mit Erdbeersoße und dazu russischen Sekt. Unter den etwa hundert Gästen befanden sich viele Russen, Franzosen, Deutsche und ein paar Engländer. Auf die Frage, welche Musik er auflegen solle, bekam Jurij von den Veranstaltern gesagt: »Russisch, zärtlich.« Nur weil unser Musiksortiment zu neunzig Prozent aus Punk-
    Musik besteht, kam Jurij ins Grübeln. Beim Durchsortieren der PunkStücke nach »zärtlich« und »unzärtlich« entdeckte er ein paar zu Unrecht vergessene Titel wieder und lernte so die zärtliche Seite des Punk kennen.
    Die russischen Schauspieler hatten anfangs Probleme, die Gäste direkt anzusprechen, sodass sie sich erst einmal Mut antranken. Einige der russischen Gäste fingen ebenfalls vorzeitig an, Wodka zu trinken. Auf die Frage, ob sie nicht auch etwas essen wollten, meinten sie nur: »Den lieben Wodka würden wir auch essen.«
    Schnell hatten die Gäste und die Schauspieler denselben Pegelstand erreicht und kamen miteinander ins Gespräch.
    »Möchten Sie ein Märchen hören?«, fragte der Schauspieler.
    »Erzählen Sie uns lieber etwas aus Ihrem Leben«, baten die Gäste.
    Alle schienen den Abend zu genießen. Eine mollige Schauspielerin kam auf Jurij zu: »Junger Mann, Sie sind weltberühmt, würden Sie mir etwas richtig Ekelhaftes auflegen, so aus den Siebzigern?«
    Für solche ausgefallenen Wünsche hatte Jurij immer eine alte Platte von Alla Pugatschowa dabei, die aber der
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