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Karambolage

Karambolage

Titel: Karambolage
Autoren: Hermann Bauer
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auf dem grünen Filz liegen, ehe er den anderen, zur Vollendung des Punktes nötigen, berührt hatte. Und es gab die großen Schauspieler, die sich in Pose warfen und mit unwiderstehlicher Eleganz dem Spiel einen Hauch von Erotik verliehen, gleich, welchen Alters sie waren oder wie es um ihre sonstige körperliche Beschaffenheit stand. Sie hatten den Drang, gesehen zu werden, und litten unter einer ständigen Sehnsucht nach Anerkennung und Bewunderung. Aus ihren Augenwinkeln heraus suchten sie nach Verehrerinnen, die jedoch kaum jemals anwesend waren, und dachten neidisch an Fußballer oder Skistars. Ihr trauriges Schicksal bestand dann nicht selten darin, zum Idol einer alternden Handarbeitslehrerin zu werden, die ab und zu eine Partie beobachtete, während sie ihren Kaffee einnahm.
    Es gab gute und schlechte Verlierer, ruhige und weniger ruhige Spieler. In manchen Runden wurde heftig diskutiert und gescherzt, während solches in anderen Kreisen streng verpönt war. Manch einer versuchte, seinen Gegenspieler durch gezielte und laute Ablenkungsmanöver aus dem Rhythmus zu bringen, dieser schwieg wiederum den ganzen Nachmittag oder Abend wie ein Grab, sodass man nur seine knarrenden Schritte auf dem Holzboden und ab und zu sein Schlürfen aus der Kaffeetasse hören konnte.
    Allen aber war gemeinsam, dass sie das Karambolespiel liebten und ihm oft mehr Zeit und Energie opferten als irgendeiner anderen Sache. Leopold erinnerte sich an einen Weihnachtsabend vor etlichen Jahren, als die Sperrstunde bereits zum wiederholten Mal ausgerufen worden war, zwei ältere Herren aber partout nicht ihre Billardpartie beenden wollten. Beide hatten ein Zuhause, eine geliebte Frau sowie Kinder und Enkelkinder, die sich zur Bescherung angesagt hatten. Aber als Frau Heller ihnen untersagte, ihr Spiel fortzusetzen, schraubten sie nur traurig ihre Queues auseinander, schüttelten sich mit einem matten »Fröhliche Weihnachten« die Hände und stapften freudlos hinaus in die kalte Winternacht. Aus war’s, vorüber die festliche Stimmung, und kein Geschenk, kein weihnachtlich leuchtender Baum konnte ihnen die abgebrochene Billardpartie ersetzen. Sie fühlten sich in ihrem Inneren tot wie der gefrorene Boden unter ihren Füßen.
    So weit konnte die Leidenschaft also gehen. Und wenn es ernst wurde, der Gruppensieg in einem Turnier in Aussicht stand, ein Höchstmaß an Genauigkeit, Konzentrationsvermögen und Fantasie gefordert war, wenn selbst ein ungeübter Unterhaltungsspieler nicht als Verlierer vom Brett gehen wollte, dann hingen oft die Nerven an einem seidenen Faden, und man wusste nie, wie ein Teilnehmer in einer extremen Situation reagieren würde.
    An all das dachte Leopold, während er die letzten Staubkörner aus den Ecken saugte und alle Bälle auf Hochglanz brachte. Er freute sich auf das bevorstehende Ereignis. Er würde viele Bekannte wiedersehen, von denen er schon länger nichts gehört hatte. Vor allem aber hoffte Leopold, dass in der Atmosphäre knisternder Spannung ›etwas passieren‹ würde. Seit er seinem alten Schulfreund, Oberinspektor Juricek, einmal geholfen hatte, einen Kirchendiebstahl aufzuklären, spürte er nämlich einen Hang zum Kriminalistischen. An der Lösung eines Mordfalles war er immerhin schon beteiligt gewesen. Das hatte seinen Ehrgeiz aber erst so richtig geweckt. Jetzt wartete er täglich darauf, dass sich ihm wie damals gleichsam von selbst ein neuer Fall zutragen würde, irgendeine größere Sache, womöglich wieder ein Mord.
    »Nur schön sauber machen, Leopold«, riss ihn da seine Chefin, Frau Heller, aus seinen Gedanken. »Und richten Sie mir alle Tische und Sessel so her, wie ich es Ihnen gesagt habe. Es muss überall noch ein Platz sein, wo die Leute durchkönnen. Und hinten, bei den Kartentischen, müssen die Spieler trotzdem ihre Ruhe haben. Sie wissen ja, unsere Stammgäste, die Tarockpartie …« [2]
    »Jawohl, Frau Chefin, bin ja eigentlich fast schon fertig«, unterbrach Leopold sie und warf einen prüfenden Blick um sich. Dann schnippte er einmal kurz mit den Fingern, so als ob ihm etwas Wichtiges eingefallen sei, wandte Frau Heller den Rücken zu und öffnete seine heilige, ihm allein zur Benützung anvertraute Lade. Eine Weile kramte er darin herum, dann schien er gefunden zu haben, wonach er suchte: einen viereckigen weißen, beschriebenen Pappkarton mit einer Schnur dran. »Sagen Sie mir bitte nur noch, wo ich das hinhängen soll, damit es auch jeder sieht«, sagte
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