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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition)
Autoren: John Lanchaster
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auch wenn er sich nicht ganz sicher war, was das beinhaltete oder was er tun oder machen sollte. Irgendetwas.
    Während der letzten Viertelstunde, die er in der Pepys Road verbrachte, kletterte Roger in dem Haus, das juristisch gesehen immer noch ihm gehörte, bis ganz nach oben in den umgebauten Speicher, den sie, nach einiger Diskussion, als Gästezimmer benutzt hatten. Arabella hatte zunächst ein eigenes Arbeitszimmer gewollt, musste dann aber schließlich zugeben, dass es eigentlichnichts gab, an dem sie arbeitete, und sie deswegen ein solches Zimmer gar nicht brauchte. Roger war versucht gewesen, es für sich selbst als sein Büro in Anspruch zu nehmen, aber am Ende hatte er sich für einen kleineren, gemütlicheren Raum im zweiten Stock entschieden. Weil dieser Raum nicht so viel Platz einnahm, würde es leichter sein, diesen Bereich als das ihm zustehende Gebiet zu verteidigen (»Aber die Jungs brauchen unbedingt noch ein Zimmer.«) Dann ging er wieder nach unten, durch die Zimmer der Kinder, von deren Gegenwart hier nur noch die bunten Tapeten zeugten – Cowboys (Josh) und Astronauten (Conrad) – und auch die nur für den aufmerksamen Beobachter erkennbaren Bleistiftmarkierungen an der Tür, die anzeigten, wie viele Zentimeter die Jungs im Lauf der Zeit gewachsen waren. Das Bad der Kinder war in grellem Orange gestrichen. Dann hinunter in Rogers Büro, wo sich noch die eigens eingebauten Bücherregale befanden, zusammen mit dem hellen Fleck an der Wand, wo das Bild von Howard Hodgkin gehangen hatte (ein Geschenk von Arabella, zu einer Zeit, als sie gerade versucht hatte, ihm ein etwas kultivierteres Image zu verschaffen), Arabellas Ankleidezimmer mit ihrem kleinen, in die Wand eingelassenen Schreibtisch und den Einbauschränken, das kleine zweite Gästezimmer, mit den Abdrücken, die das Bettgestell im Teppich hinterlassen hatte, das Klo, und dann ihr eigenes Schlafzimmer, wo sie nach Rogers grober Schätzung etwa sechzig Mal miteinander Sex gehabt hatten, einmal pro Monat, in fünf Jahren, nicht wirklich oft, um ehrlich zu sein, aber es war ein ziemlich schöner Raum, trotz allem, der hellste im ganzen Haus, mit cremefarbenen Wänden, der aber nun, abgesehen von ein paar Einbauschränken, vollkommen leer stand und heller war als jemals zuvor, weil es keine Jalousien und Gardinen mehr gab.
    Er ging zum Fenster und schaute in den Vorgarten hinunter, wo man neben dem Gartentor das »Verkauft«-Schild angebracht hatte. Roger setzte sich einen Moment lang auf den Boden und ließ das Gefühl auf sich einwirken, dass all das nun nicht mehrihm gehörte. Er versuchte, sich an den Gedanken zu gewöhnen. Es war seltsam, sich in dem Haus aufzuhalten, während es vollkommen leer war. Dadurch wurde einem bewusst, dass am Ende jedes Haus nur eine Art Bühne ist, ein Ort, wo sich das Leben abspielt. Kein Ort, der für sich allein bereits große Bedeutung hätte. Die Leere war keineswegs unheimlich. Roger wurde jedenfalls nicht von dem Gefühl beschlichen, als befände er sich auf einem Geisterschiff. Es wirkte eher so, als hätten sie mit dem Haus abgeschlossen und das Haus auch mit ihnen. Sie waren ausgezogen, und jetzt stand das Haus in Erwartung der neuen Leute da, die bald einziehen würden. Auch das Haus wartete auf etwas Neues; es wartete darauf, ein neues Stück auf die Bühne zu bringen.
    Er hatte sich – zumindest gedanklich – an die Veränderungen in ihrem Leben gewöhnt. Auch überall sonst mussten sich die Menschen mit dem Gedanken vertraut machen, dass harte Zeiten im Anmarsch waren, wie ein aufziehendes Unwetter. Er wünschte, auch Arabella hätte diese Veränderungen wahrgenommen. Er hatte die ganze Zeit auf den Moment gewartet, an dem sie es endlich begreifen würde, den Moment, an dem sie sich umschaute und ihr klar wurde, was vor sich ging. Er hatte gehofft, dass endlich der riesige Groschen fallen und ihr ein Licht aufgehen würde, dass Arabella einen Moment der Klarheit erleben und zu der Erkenntnis gelangen würde, dass nicht alles einfach so weitergehen konnte wie bisher. Nicht nur aus finanziellen Gründen – auch wenn es schon allein deshalb sehr wünschenswert wäre –, sondern auch, weil eine solche Einstellung zum Leben einfach nicht ausreichte. Man konnte nicht seinen gesamten Lebensweg als ein Leibeigener der materiellen Ansprüche verbringen und sich auf ewig dem Kodex der Besitztümer verschreiben. Es gab keinen Kodex von Besitz. Besitz war einfach nur Besitz. Man konnte ihm nicht sein
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