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Kann ich gleich zurueckrufen

Kann ich gleich zurueckrufen

Titel: Kann ich gleich zurueckrufen
Autoren: Barbara Streidl
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einem Stück Käsekuchen und einem Apfel. »Hast du Lust auf Kuchen?«, frage ich meine Mutter. Sie nickt. Ich setze meinen Sohn auf den Stuhl, der neben dem Bett steht und schiebe das Tablett zum Bett. Mit der Gabel zerkleinere ich den Kuchen. Ich drücke ihr die Gabel in die rechte Hand und breite die Serviette so aus, dass sie herunterfallende Brösel auffängt. Meine Mutter sticht in ein Kuchenstück und schiebt es sich langsam in den Mund. Feuerprobe bestanden, denke ich. Sie kann wieder allein essen.
    »Magst du ein Stück Apfel?«, frage ich meinen Sohn. Er will. Also schäle ich den Apfel mit dem Messer, das auch auf dem Tablett liegt, und schneide ihn in Spalten. Er nimmt ein Stück, meine Mutter schüttelt den Kopf und isst weiter Käsekuchen. Sie hat sich sehr unter Kontrolle, isst zwar langsam, kleckert aber nicht. Ich bin erleichtert.
    Als Apfel und Käsekuchen aufgegessen sind, kommt die Schwester. Ich frage, ob die Stationsärztin da ist und ob ich mit dem Oberarzt sprechen kann. Der Herr Doktor ist schon weg, sagt die Schwester, und die Frau Doktor ist gerade nicht zu sprechen. Ich schlucke meine schlechte Laune runter und berufe mich nicht auf das Telefonat, das ich vor zwei Stunden mit ihr oder ihrer Kollegin geführt habe, in der mir zugesichert wurde, dass sowohl Frau Doktor als auch Herr Professor Doktor am Nachmittag im Krankenhaus sind. Sondern frage stattdessen, ob ich morgen früh mit der Stationsärztin oder dem Oberarzt telefonieren kann. »Von halb neun bis elf ist Visite«, sagt die Schwester und nimmt das Tablett. »Eins noch«, sage ich, als sie gerade die Tür öffnet. Die Schwester dreht sich zu mir um. »Können Sie meiner Mutter vor dem Schlafengehen helfen, ein frisches Nachthemd und frische Unterwäsche anzuziehen? Ich lege die Sachen hier auf den Stuhl.« Die Schwester nickt und geht raus. »Wer war das?«, fragt mein Sohn. »Das war die Schwester«, sage ich und erkläre ihm, dass es in einem Krankenhaus viele Schwestern gibt, die sich um die Kranken kümmern.
    Ich weiß nicht, wie spät es ist, aber mein Gefühl sagt mir, dass es jetzt reicht. Sowohl meiner Mutter als auch meinem Sohn. »Wir gehen nach Hause«, sage ich. »Ich ruf dich morgen früh an.« Meine Mutter nickt. Sie wirkt müde, so als könnte sie die Augen nur noch schwer offen halten. Wir verabschieden uns. Ich nehme den Kleinen an die Hand und gehe zur Tür. Als ich mich noch einmal umdrehe, sehe ich, dass ihre Augen bereits geschlossen sind. Gut, wenn sie schlafen kann, denke ich mir.
    Wir verlassen die Stroke Unit, gehen zum Haupteingang und von dort zur Bushaltestelle. Mein Sohn hält immer noch meine Hand. Ich spüre, dass er meine Nähe gerade besonders braucht, dass ihn der Besuch angestrengt hat. Und vielleicht auch ein wenig verstört. Krankenhäuser sind keine Spielplätze, denke ich und erinnere mich an die Szene in der Krankenhauscafeteria. Nein. Sind sie nicht. Trotzdem bin ich froh, dass er dabei war. Für ihn, für meine Mutter und auch für mich.
    Wir haben Glück, der Bus kommt gleich. Als wir sitzen, hole ich ein paar Kekse aus meiner Tasche. »Magst du?«, frage ich den Kleinen. Es sind seine Lieblingskekse. Er isst einen Keks und sagt dann: »Gehen wir jetzt nach Hause?« Ich streichle seine Wange. »Ja«, sage ich. »Jetzt gehen wir nach Hause.« Auf dem Heimweg machen wir noch Zwischenstopps bei der Apotheke und im Supermarkt.
    Wir kommen um 16:55 Uhr zu Hause an, waschen uns gründlich die Hände und essen in der Küche noch mehr Kekse und Apfelstücke. Dann spielen wir Verstecken. Später beschließen wir, eine Karottensuppe zu machen. »Tika liebt Karotten«, sagt mein Sohn und hilft mir beim Schälen – er hält den Sparschäler, ich die Karotten. Ich schäle noch ein Stück Ingwer, dann steht die Suppe auf dem Herd. Gemeinsam decken wir den Tisch. »Wann kommt der Papa?«, fragt mein Sohn. Ich knie mich zu ihm auf den Boden und nehme ihn in die Arme. »Der Papa ist doch mit dem Flugzeug weggeflogen. Er kommt bald wieder, aber noch nicht heute«, sage ich. »Morgen?«, fragt der Kleine. »Überüberüberüberübermorgen«, sage ich.
    Während die Suppe kocht, lese ich ihm die Geschichte von der kurzsichtigen Hexe vor. »Ihr Kopf ist komisch«, erklärt er mir. »Wie bei der Oma.« Ich nicke. »Aber jetzt geht es der Hexe wieder gut. Und der Oma wird es auch wieder besser gehen, ganz bald schon.« Eigentlich mag ich keine Durchhalteparolen. Aber an dieser Stelle erscheint es mir
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