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Kanaken-Gandhi

Kanaken-Gandhi

Titel: Kanaken-Gandhi
Autoren: Osman Engin
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Baustelle besetzt halte. Und ich hatte mich schon gewundert, wie einfach es war, den Laden in meine Gewalt zu bringen.
    »Jetzt sagen Sie mal genau, Sie Radiomensch: Was soll ich hier besetzt haben?«

    »Sie haben ein im Bau befindliches Spaßbad besetzt, das vor sieben Jahren mal ein Kernkraftwerk war. Ihre Gruppe ist wahrscheinlich gegen den Umbau, weil die Radioaktivität schließlich immer noch sehr hoch sein könnte ... Aber mehr dazu nach dem nächsten Musikstück von Tina Turner...«
    Ich knalle den Hörer hin und schnappe mir das Dynamit. Die da draußen haben vermutlich nicht mal eine lächerliche Pistole, geschweige denn Scharfschützen auf den Bäumen. Ich stelle mich mit breiter Brust demonstrativ ans geöffnete Fenster. Aber ein Mückenstich ist das Einzige, was ich abbekomme. Wütend klemme ich mir den Dynamitkasten unter den Arm und laufe hinauf auf das Dach des Gebäudes.
    »Ich ... ich ... ich jage jetzt alles in die Luft«, schreie ich na ch unten, »ich mache jetzt alles kaputt! »
    »Mach doch, der Bau muss sowieso abgerissen werden«, ruft einer der Feuerwehrleute mit seinem Megaphon. Was mischt sich dieser Blödmann hier ein? Die anderen Feuerwehrleute spannen ein großes Tuch auf, um mich aufzufangen, falls ich runterspringen sollte. Ich laufe nach rechts, die auch!
    Ich laufe nach links, die auch!
    Ich laufe nach hinten, die bleiben stehen, reingelegt!
    »Ich springe runter in den Tod, wenn man mich abschieben will«, schreie ich.
    »Spring doch, du Arschloch! Dann sparen wir uns wenigstens die Flugkosten«, brüllt er zurück.
    »Misch du dich da nicht ein«, rufe ich, »ich kenne dich doch gar nicht«, und laufe auf dem Dach hin und her, um meine Feuerwehrleute zu beschäftigen.
    Auf einmal tauchen aus der Ferne mit viel Krach und Lärm sechs Klapperkisten auf, und eine Horde von Punks steigt aus.
    Ratten-Uli, Gruben-Eddi und den Saddam-Sigi erkenne ich selbst von hier oben. Ihre ekelhaften Köter haben sie natürlich auch mitgebracht.
    »Im Radio haben wir gehört, dass es hier was zu besetzen gibt«, brüllt der Ratten-Uli mit einer Bierdose in der Hand zu den Feuerwehrleuten.
    »Ihr könnt gleich wieder in eure Autos einsteigen und abhauen, das hat der Idiot da oben schon ganz alleine besorgt«, brüllt der Spielverderber von einem Feuerwehrmann in sein Megaphon.
    »Was quatschst du eigentlich immer dazwischen? Was willst du überhaupt hier? Weit und breit gibt es hier kein Feuer«, schimpfe ich so laut ich kann, »geh lieber und lösche brennende Asylbewerberheime. Da hast du endlich mal eine sinnvolle Aufgabe. »
    Plötzlich werden meine Augenlider schwer wie Blei. Mir wird ganz elend.
    »Ach, ich glaub’, du bleibst besser hier«, höre ich mich flüstern, »so wie du drauf bist, wirst du bestimmt auch noch behaupten, die toten Asylbewerber hätten das Feuer selber gelegt!« Der Magazinbulle hat doch Recht behalten! Die haben tatsächlich in meinen Döner was reingetan. Meine Beine tragen mich nicht mehr, meine Knie fühlen sich an wie Pudding, und ich sehe alles doppelt. Unter den zwei Dutzend Punks, die ihre Party vom Karnickelweg 7b hierher verlegt haben, erkenne ich meinen nichtsnutzigen Sohn Mehmet. Ist ja logisch, der darf nicht fehlen. Ich schwanke hin und her, als hätte ich eine Kiste Bier ganz alleine getrunken. Die Feuerwehrmänner mit ihrem großen weißen Tuch unter mir schwanken mit. Verschwommen sehe ich, wie Mehmet mit einem anderen Mann auf den Polizisten einredet.
    Aber das gibt’s doch gar nicht! Bei Allah, dieser Mann neben Mehmet, das hin ja ich! Drehe ich jetzt endgültig durch? Welche Droge haben die in meinen Döner getan? Ich kann sehen, wie ich unten auf dem Parkplatz mit Mehmet rede. Ich habe Berichte von wiederbelebten Menschen im Fernsehen gesehen, die erzählten alle, dass sie nach ihrem Tod ihren eigenen Körper von oben beobachtet hätten, der leblos unter ihnen lag. Also bin ich schon tot? Aber sollte mein Körper nicht leblos sein? Der da unten läuft aber munter durch die Gegend. Dann knicken meine Knie endgültig weg, und ich sehe nur noch Schwarz. Ich spüre, dass ich kopfüber vom Dach des großen Gebäudes nach unten falle. Ich hoffe, dass ich die Feuerwehrleute mit einem geschickten Luftmanöver austricksen kann und - wie ein Pfannkuchen die Pfanne - die Landebahn verfehle. Wenn nach diesem Absturz Experten meinen schwarzen Kasten und den Flugschreiber auswerten, wird die Nachwelt erfahren, welch Unrecht ich erleiden musste.

    Dienstag, 26.
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