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Kanak Sprak: 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft

Kanak Sprak: 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft

Titel: Kanak Sprak: 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft
Autoren: Feridun Zaimoglu
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seil zu balancieren, brechen wir fast zusammen. Dunkel ahnen wir, wie absurd es ist, unsere puste zu verschwenden, weil sie, erst einmal aus dem mund und auf die lange reise geschickt, nie ans andere ende des rohrs gelangen wird. Es gibt sogar menschen, die erkennen, und trotzdem in dieses rohr hauchen, weil sie den atem loswerden wollen, in etwas investieren, das ihnen vorkommt wie ein archaischer kult. Nur so können die erkenntnisreichen weiterhin klare gedanken fassen, und die weisen unter ihnen wissen, daß vor allem die gesunden auf krücken gehen. Deshalb werden wir, die sterblichen, unseren atem durch diesen düsteren kanal hetzen, uns verbrennen an dem rohr, und die mühe auf uns nehmen. Die deserteure aber, die mutigeren, werden die luft in ihren lungen zusammennehmen, und ihre hände zurückreißen und die klarheit verlieren: man wird sie hören, den singsang von irren draußen in der nacht. Das, was ich sage, mag dir verschroben, wenn nicht aberwitzig erscheinen, aber der tumult auf den straßen hat etwas damit zu tun, daß die halbstarken mit gewalt die verheißung suchen, jemanden, der ihnen sagt, daß sie eine weile in ihre elenden schlupflöcher zurückkehren, dort ausharren, bis es an der zeit ist, daß sich das versprechen erfüllt. Die jungs streunen durch die stadt, sie rotten sich zusammen, weil sie große teile des tages einsam sind. Im rudel findet man früher oder später zu einem kodex, in der gang erhält man die feuertaufe, und mit dem neugewonnenen sinn im leib gehen sie in kleinen scharen auf die suche. Das geld ist eine sorge, das outfit nicht minder. Sie gehen es sich beschaffen mit der willkür von söldnern. Die meute, nur der enge kreis der brüder, zählt. Die jungs sind klumpen aus adrenalin. Sie wollen es ohne vertröstung auf bessere zeiten wissen. Sie holen sich das zeug. Sie sind das wahre lumpenproletariat: häßlich, voller haß, niedrig und voller affekte. Sie versuchen sich in der alchemie: fleisch zu stahl, und keinen gedanken verschwenden daran, was morgen wird. Wie alle gewaltträchtigen, wie alles, das sich nicht so richtig vorsehen will, ersticken sie an der falschen kraft, die sie erschaffen hat und die sie angenommen haben. Sie sind menschenmüll, eine verschwendung in den straßen der metropolen, sie haben das spiel verloren, weil die karten gezinkt sind, die man ihnen in die hand drückt. Deshalb sind sie kanaken, deshalb bin ich ein kanake, deshalb bist du ein kanake. Wir sind bastarde, freund, das heißt, daß wir gedanken und empfindungen haben, für die wir nichts können, sowas wie ausgeknobelte kreaturen ohne sinn und rechtem verstand, die gerne eine gebrauchsanweisung hätten, oder einen heiligen katechismus, um dieses dumpfe brüten, das uns beherrscht, abzuschütteln. Ein bastard ist ein bündel aus irrationalismen, er hat eine abseitige mystik, die ihn zutiefst beunruhigt, er sieht zeichen und wunder, wo keine sind, weil er sich stets auf fremdem terrain bewegt. Man sagt dem bastard, er fühle sich unwohl, weil zwei seelen bzw. zwei kulturen in ihm wohnen. Das ist eine lüge. Man will dem bastard einreden, er müsse sich nur für eine einzige seele entscheiden, als ginge es um einen technischen handgriff, damit die räder sich verzahnen, als sei seine psyche ein lahmgelegter betrieb. Der bastard braucht keine politur, er verpaßt sich schon selbst mehrere schichten lack, damit er nicht auffällt wie ein gescheckter hund. Der kanake ist so etwas wie ein synthetisches produkt, das sich und die fabrik haßt, in dem es gefertigt wurde. Er hat instinkte, die die einheimischen nicht haben, er versteht es, auf den ersten blick, das heißt schnell und ohne großen aufwand, die lage zu sondieren, er hat den blick für das, was sich hinter den kulissen abspielt. Er erkennt zwar die essenz, aber ihm ist es nicht gegeben, eine halbwegs solide existenz aufzubauen. Er ist darauf dressiert, zum kern vorzustoßen, deshalb verschmäht er die hülle. Also ist der kanake zugleich ein fundamentalist. Jeder unserer jungs steht für eine miniphilosophie, in der alle gegenstände aufgeräumt sind und ihren platz haben. Genau das gegenteil dessen, was sie wirklich sind, nämlich knechte einer allgegenwärtigen bedeutungslosigkeit. Der bastard verflucht den beischlaf, aus dem er hervorgegangen ist, und das klima, in dem er lebt. Er ist ein gezwungener, deshalb
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