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Kanada

Kanada

Titel: Kanada
Autoren: R Ford
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ihm etwas, das anderen schwerfiel, leicht machen. Die Kunden würden ihm vertrauen, weil er aus dem Süden komme, und Südstaatler seien dafür bekannt, bodenständiger zu sein als die schweigsamen Leute aus dem Mittleren Westen. Das Geld würde nur so fließen, sobald das Modelljahr zu Ende ginge und große Rabatte die Umsätze hochtrieben. Für die Arbeit bekam er einen rosa-grauen Oldsmobile Super-88, den er zu Demonstrationszwecken fahren sollte und den er als wirksames Werbemittel vor unser Haus auf der First Avenue, SW, stellte. Er nahm uns alle auf Spritztouren nach Fairfield mit, Richtung Berge, ostwärts Richtung Lewistown und südwärts Richtung Helena. Diese Ausflüge nannte er »orientierungsergründende Leistungstests« – obwohl er wenig von der Gegend wusste, egal in welcher Richtung, und auch wenig Ahnung von Autos hatte, außer wie man sie fuhr, was er sehr gern tat. Es sei einfach für einen Air-Force-Offizier, einen guten Job zu bekommen, fand er, er hätte gleich nach dem Krieg den Dienst quittieren sollen. Dann wäre er jetzt wesentlich weiter.
    Meine Schwester und ich glaubten, nun, da unser Vater die Air Force verlassen und andere Arbeit gefunden hatte, würde unser Leben endlich eine solide Basis bekommen. Wir lebten damals seit vier Jahren in Great Falls. Meine Mutter ließ sich an jedem Schultag in die kleine Stadt Fort Shaw mitnehmen, wo sie in einer fünften Grundschulklasse unterrichtete. Sie sprach nie darüber, aber es schien ihr zu gefallen, und manchmal bescheinigte sie den anderen Lehrern, sie seien engagierte Leute (sonst konnte sie offenbar wenig mit ihnen anfangen und hätte nie gewollt, dass sie uns zu Hause besuchten, ebenso wenig wie irgendwer vom Stützpunkt). Ich sah mich bereits auf der Highschool von Great Falls, wo es ab Herbst losging, dort gab es, hatte ich herausgefunden, eine Schachgruppe und einen Debattierclub, und Latein würde ich dort auch lernen können, weil ich zu klein und leichtgewichtig für Mannschaftssport war und sowieso kein Interesse daran hatte. Meine Mutter sagte, sie erwarte von uns beiden, Berner und mir, dass wir aufs College gingen, aber wir würden es mit unserem Grips schaffen müssen, denn das Geld würde nie im Leben reichen. Obwohl Berner, sagte sie, ihr selbst schon jetzt allzu ähnlich im Charakter sei und kaum den guten Eindruck machen würde, den es brauche, um aufgenommen zu werden, deshalb wäre es vermutlich besser, wenn sie sich stattdessen einfach einen College-Absolventen zum Heiraten suchte. In einer Pfandleihe auf der Central Avenue fand sie mehrere College-Wimpel, die sie bei uns an die Wand tackerte. Andere Kinder waren da aus solchen Fanartikeln bereits herausgewachsen. Meine drei waren Furman, Holy Cross und Baylor, meine Schwester kriegte Rutgers, Lehigh und Duquesne. Natürlich wussten wir überhaupt nichts von diesen Universitäten, nicht mal, wo sie lagen – allerdings hatte ich Bilder im Kopf, wie sie aussahen. Alte Backsteingebäude mit mächtigen schattenspendenden Bäumen und einem Fluss und einem Glockenturm.
    Mit Berner war inzwischen wirklich nicht besonders gut Kirschen essen. Seit der Grundschule waren wir nicht mehr in dieselbe Klasse gegangen, weil es für ungesund gehalten wurde, wenn Zwillinge die ganze Zeit zusammen waren – allerdings hatten wir uns immer bei den Hausaufgaben geholfen und gute Noten bekommen. Jetzt hockte sie die meiste Zeit in ihrem Zimmer, las Kinozeitschriften, die sie im Rexall kaufte, oder Peyton Place und Bonjour Tristesse , die sie nach Hause geschmuggelt hatte, woher, wollte sie nicht verraten. Sie schaute den Fischen in ihrem Aquarium zu und hörte Musik im Radio und hatte keine Freunde – was auch für mich galt. Es machte mir nichts aus, Zeit ohne sie zu verbringen und mein eigenes Leben zu führen, mit meinen Interessen und Gedanken über die Zukunft. Berner und ich waren zweieiige Zwillinge – sie war sechs Minuten älter – und sahen uns überhaupt nicht ähnlich. Sie war groß, knochig, unbeholfen und von Sommersprossen übersät – Linkshänderin, während ich Rechtshänder bin –, hatte Warzen auf den Fingern, blasse graugrüne Augen wie unsere Mutter und ich und Pickel und ein flaches Gesicht und ein weiches Kinn, das nicht hübsch war. Ihr drahtiges braunes Haar trug sie mit Mittelscheitel, ihr sinnlicher Mund war der unseres Vaters, anderswo – an Beinen oder Armen – war sie kaum behaart, und ihre kaum ausgeprägte Brust hatte sie auch von unserer Mutter.
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