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Kanada

Kanada

Titel: Kanada
Autoren: R Ford
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ich konnte mitnehmen, was ich wusste, und es würde mich als gefestigt und vielversprechend charakterisieren – an diesen Eigenschaften war mir gelegen. Auch wenn ich nicht an all die Orte gehörte, in ihre Schulen gehörte ich sehr wohl. Ich war gut in Englisch und Geschichte und Bio und Physik und Mathe – genau wie meine Mutter. Jedes Mal, wenn wir unsere Sachen packten und wieder umzogen, hatte ich nur vor einem Angst, nämlich dass ich aus irgendeinem Grund nicht mehr in die Schule gehen durfte oder etwas versäumte, das mir meine Zukunft gesichert hätte und woanders nicht zu erwerben war. Oder dass wir an einen Ort ziehen würden, wo es überhaupt keine Schule für mich gab (einmal stand Guam zur Diskussion). Ich fürchtete, am Ende gar nichts zu wissen, mich auf nichts verlassen zu können, das mich heraushob. Bestimmt habe ich da etwas von meiner Mutter geerbt, die ihr Leben unbefriedigend fand.
    Es kann auch daran liegen, dass die beiden, die durch ihren immer dichter werdenden Lebensnebel taumelten – zwei Menschen, nicht füreinander bestimmt, wahrscheinlich schon bald ohne körperliches Begehren füreinander, stattdessen zunehmend ein bloßer Satellit des anderen und irgendwann, ohne es richtig zu merken, voll gegenseitiger Ablehnung –, meiner Schwester und mir nicht genug Halt boten, was schließlich die Aufgabe von Eltern ist. Aber es bringt nichts, immer den Eltern die Schuld an den eigenen Problemen zu geben.

3
    In dem Frühjahr, als unser Vater seinen Abschied nahm, verfolgten wir alle interessiert den Präsidentschaftswahlkampf. Meine Eltern waren einig in ihrer Meinung über die Demokraten und Kennedy, der demnächst nominiert werden sollte. Meine Mutter sagte, mein Vater finde Kennedy gut, weil er sich eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm einbilde. Eisenhower war meinem Vater zutiefst zuwider, was an den amerikanischen Bombern lag, die er am D-Day geopfert hatte, um die Krauts hinter der Front zu schwächen, und auch mit seinem heimtückischen Schweigen über MacArthur, den mein Vater verehrte, und weil Eisenhowers Frau als »Schnapsdrossel« bekannt sei. Nixon konnte er auch nicht leiden. Der sei ein »kalter Fisch«, sehe aus »wie ein Italiener« und sei ein »Kriegs-Quäker«, mit anderen Worten ein Heuchler. Ebenso wenig konnte er die UNO leiden, die er für zu teuer hielt, außerdem gebe sie Kommis wie Castro (den er einen »Schmierenkomödianten« nannte) eine Stimme in der Welt. Im Wohnzimmer hatte er ein gerahmtes Foto von Franklin Roosevelt über das Kimball-Spinett gehängt, über das Mahagoni-Messing-Metronom, das zwar nicht funktionierte, aber zum Haus gehörte. Er rühmte Roosevelt, weil er sich nicht von der Kinderlähmung hatte unterkriegen lassen, weil er sich totarbeitete, um das Land zu retten, weil er mit dem Elektrifizierungsprogramm für ländliche Gegenden das hinterwäldlerische Alabama aus dem finsteren Mittelalter herausgeholt hatte und weil er es mit Mrs Roosevelt aushielt, die mein Vater »First Morchel« nannte.
    Er stand seiner Herkunft aus Alabama sehr zwiespältig gegenüber. Auf der einen Seite sah er sich selbst als »modernen Menschen«, der nicht vom »Hinterteil der Welt« komme, wie er es umschrieb. Er vertrat moderne Ansichten in vielen Dingen – in der Rassenfrage zum Beispiel, da er bei der Air Force neben »Negern« gearbeitet hatte. Er hielt Martin Luther King für einen prinzipientreuen Mann, und Eisenhowers Bürgerrechtsgesetz sei dringend nötig gewesen. Frauenrechte mussten seiner Meinung nach mal ordentlich aufgemischt werden, und dass der Krieg eine Tragödie und Verschwendung war, wusste er genau.
    Auf der anderen Seite schmollte er, wenn meine Mutter etwas Abfälliges über den Süden sagte – was sie oft tat –, und verkündete, Lee und Jeff Davis seien »Männer von Substanz«, auch wenn sie für ihre Überzeugungen zu weit gegangen seien. Viel Gutes sei aus dem Süden gekommen, sagte er, und zwar mehr als nur Baumwoll-Entkörnungsmaschinen und Wasserski. »Vielleicht könntest du mir ein Beispiel nennen«, sagte meine Mutter dann immer, »dich natürlich ausgeschlossen.«
    Sofort nachdem er seine blaue Air-Force-Uniform an den Nagel gehängt hatte und nicht mehr zum Stützpunkt fuhr, fand er Arbeit als Autoverkäufer für Oldsmobile. Er fand, das Verkaufen liege ihm im Blut. Seine warmherzige Persönlichkeit – fröhlich, entgegenkommend, sympathisch, selbstbewusst, ohne Punkt und Komma redend – würde, meinte er, Fremde anziehen und
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