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Kameraden: Die Wehrmacht von innen (German Edition)

Kameraden: Die Wehrmacht von innen (German Edition)

Titel: Kameraden: Die Wehrmacht von innen (German Edition)
Autoren: Felix Römer
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Merkliche Differenzen bestanden nicht nur zwischen den am Krieg beteiligten Streitmächten im Ganzen, sondern auch in ihrem eigenen Inneren. Jede Armee besaß ein weit gefächertes Gefüge aus Teilstreitkräften und Suborganisationen, die ihre eigene Charakteristik aufwiesen. In den diversen Waffengattungen und ihren Truppenteilen bestanden divergierende Einheitskulturen – graduelle Varianten jenes Normensystems, welches das national spezifische Wertekorsett der gesamten Armee ausmachte. Innerhalb der Verbände war es in erster Linie dieser eigene Bezugsrahmen, der die herrschenden Gruppennormen und das Selbstverständnis der einzelnen Soldaten prägte. Beim Gros der durchschnittlichen Infanterieverbände existierten in dieser Hinsicht wohl nur geringe Unterschiede. Bei Eliteeinheiten oder Spezialformationen war dies jedoch anders, und zweifellos wirkten sich diese kollektiven Einstellungen auch auf das Verhalten der Verbände im Gefecht aus. Eine Kerndivision der Waffen-SS etwa kämpfte letztlich mit größerer Verbissenheit als eine vergleichbare Elitedivision des Heeres oder der Fallschirmjäger. [7]
    Die unterschiedlichen Einheitskulturen der Verbände können jedoch nicht das allein ausschlaggebende Moment gewesen sein. Denn selbst innerhalb derselben Truppengattungen traten deutliche Differenzen zutage – am deutlichsten zwischen den jeweiligen Kernverbänden, die schon seit Langem etabliert waren, und den in späteren Kriegsphasen neu aufgestellten Verbänden, die oft über wesentlich schlechtere Voraussetzungen verfügten. Die meisten der ab 1943/44 gebildeten Divisionen der Waffen-SS etwa konnten den Vergleich mit den Elitedivisionen der Wehrmacht schon nicht mehr bestehen. Ähnliche Abstufungen existierten auch innerhalb der Wehrmacht, beispielsweise innerhalb der Fallschirmjägertruppe. Eine Kerndivision der Fallschirmjäger etwa besaß so viel Kampfkraft, dass sie sich durchaus mit den Kerndivisionen der Waffen-SS messen konnte. Von dem durchmischten Personal der im Laufe des Krieges neu formierten Fallschirmjägerdivisionen ließ sich dies jedoch längst nicht mehr behaupten. Neben dem institutionellen Rahmen spielten eben auch die Soldaten selbst eine Rolle. Jedes Kollektiv ist in letzter Konsequenz die Summe seiner einzelnen Mitglieder, und dieses Prinzip galt auch für militärische Einheiten. Die Performance einer Division hing – abgesehen von der Lage auf dem Schlachtfeld – natürlich stark von materiellen Faktoren wie ihrer Ausrüstung, Bewaffnung und Versorgung ab. Daneben kam es jedoch vor allem auf ihr Personal an, dessen Erfahrung, Leistungsfähigkeit und Motivation. Denn der Einsatzwille der einzelnen Soldaten wirkte in der Gesamtheit auf die Performance der ganzen Einheit zurück. Nur so lässt sich erklären, dass die Divisionen der Wehrmacht unter vergleichbaren Bedingungen bei ähnlicher Materialausstattung trotzdem oft so unterschiedlich kämpften.
    Hier beginnt die individuelle Dimension des Krieges. Im Rahmen dessen, was die Armee und das direkte militärische Umfeld vorgaben, kamen auch die persönlichen Dispositionen der Soldaten zum Tragen. Dass es signifikante Differenzen gab, hat die Analyse der Abhörprotokolle aus Fort Hunt in diesem Buch gezeigt: Die Soldaten der Wehrmacht unterschieden sich in ihrem Habitus teilweise erheblich voneinander. Zwar mussten sich alle an den militärischen Werten und Normen orientieren, um nicht aus der Rolle zu fallen. Doch nicht jeder verinnerlichte den Tugendkatalog der Wehrmacht in gleichem Maße. Über einen gewissen Konsens hinaus reichte die Identifikation mit dem Soldatenethos unterschiedlich weit. Zur Unterscheidung dieser Abstufungen hatten wir zwischen sozialer und intrinsischer Motivation differenziert: Die einen beschränkten ihr Engagement darauf, den gestellten Anforderungen zu genügen, um die Erwartungen der Vorgesetzten und Kameraden zu erfüllen. Die anderen dagegen hatten sich die Tugenden der Wehrmacht ganz zu eigen gemacht: Diesen Männern war das Kämpfen zu einem persönlichen Anliegen geworden, und der Krieg beherrschte ihr Denken so sehr, dass sie noch in der Gefangenschaft kaum von etwas anderem reden konnten.
    Vieles spricht dafür, dass diese Differenzen im Habitus und der Motivation der Soldaten auch in ihrem Handeln einen Unterschied machen konnten: In den engen Grenzen dessen, was die sozialen und situativen Zwänge diktierten, gaben sie den Ausschlag dafür, wie die Männer die graduellen Handlungsspielräume
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