Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kameraden: Die Wehrmacht von innen (German Edition)

Kameraden: Die Wehrmacht von innen (German Edition)

Titel: Kameraden: Die Wehrmacht von innen (German Edition)
Autoren: Felix Römer
Vom Netzwerk:
Gewalt? Letztlich hängt hiermit auch die Frage nach dem Einfluss von persönlichen Einstellungen auf das Verhalten der Soldaten zusammen. Lösten das Militär und der Krieg alles Individuelle in sich auf? Oder konnte es einen Unterschied machen, wie die einzelnen Soldaten dachten und fühlten? Wirkte es sich auf ihr Verhalten aus, inwieweit sie sich mit jenen Werten und Ideen identifizierten, die in ihren Heimatländern vorherrschten? Sei es im japanischen Kaiserreich, im britischen Empire, in der Weimarer Republik oder im nationalsozialistischen »Dritten Reich«?
    Eindeutige Antworten kann es auf diese Fragen kaum geben. Das liegt in der Natur der Sache. Denn niemand vermag in die Köpfe historischer Akteure zu schauen. Was sie im Moment des Handelns wirklich antrieb – darüber lassen sich nur begründete Vermutungen anstellen, aber keine Beweise erbringen. Auch sozialpsychologische Experimente können solche Momente nur nachstellen, jedoch nicht aus der Vergangenheit zurückholen. Schlussfolgerungen lassen sich zum einen aus den historischen Erkenntnissen darüber ableiten, wie die Soldaten im Krieg tatsächlich agierten. Und Rückschlüsse lassen sich auch daraus ziehen, wie die Soldaten darüber redeten. Wie dieses Buch gezeigt hat, gab es Unterschiede zwischen den Soldaten, sowohl im Handeln auch im Sprechen. Die verfügbaren Quellen – die Akten aus Fort Hunt zumal – legen daher eine geteilte Sicht auf unsere Ausgangsfragen nahe. Krieg und Militär weisen zweifellos bestimmte, wenig veränderliche Grundmuster auf. Doch ohne ihre jeweiligen kulturellen Prägungen lassen sie sich kaum vollständig erklären, erst recht nicht in ihren historischen Varianten.
    Das Verhalten von Soldaten im Krieg bewegt sich in einem Spannungsfeld von mindestens vier verschiedenen Dimensionen: Es wird beeinflusst vom eigentlichen Kampfgeschehen und der Dynamik der Gewalt, von der historisch-kulturellen Rahmung der jeweiligen Gesellschaft und ihres Militärs, von der Einheitskultur des konkreten Verbandes und letztlich auch von den individuellen Dispositionen der einzelnen Kämpfer. Mit unterschiedlicher Gewichtung beeinflussen sich diese Faktoren wechselseitig und prägen in der Summe den spezifischen Kriegsstil. Die nationalen Militärkulturen mitsamt ihren Normensystemen und Wahrnehmungsmustern bestimmen mit, auf welche Art und Weise gekämpft wird. Die reale Erfahrung des Krieges wiederum wirkt auf die vorhandenen Realitätsbilder zurück, und die Praxis der Gewalt etabliert eigene Normen. Wie der Kampf geführt wird, hängt außerdem von der Charakteristik des eingesetzten Verbandes ab – und diese nicht zuletzt vom Profil seines Personals, der Summe der einzelnen Soldaten und ihrer Vorgesetzten.
    Der Kampf ist die Dimension, die im Mittelpunkt des Krieges steht. Gewiss waren sich die Soldaten aller Nationen hierin am nächsten: in ihrem Erleben auf dem Schlachtfeld. Vieles, was an der Front geschah, war so physisch, dass es in den Menschen geradezu biologische Reaktionen auslöste. Hunger, Kälte, Erschöpfung, Schmerz, Rachegelüste, Beschuss, Todesangst, Töten, Verwundetwerden: Solche Sinneserfahrungen fühlten sich im Zweiten Weltkrieg sicherlich nicht grundlegend anders an als in früheren oder späteren Konflikten – und für Amerikaner oder Franzosen nicht anders als für Deutsche. Genauso wenig wie Detonationen, Einschläge und Schüsse anders klangen, deformierte Leichen und verstümmelte Körper anders aussahen oder der Gestank des Schlachtfelds anders roch. Auch die psychischen Wirkungen der Gewalt auf die Menschen waren gewiss oft ähnlich: Gefechte lösten Stress aus, setzten Adrenalin frei und riefen reflexartige Verhaltensweisen hervor. Hier wie dort entfaltete die Gewalt ihre Eigendynamik wie von selbst, unabhängig vom kulturellen und historischen Kontext. Weitgehende Parallelen lassen sich daneben wohl auch im Innenleben der Armeen finden. Die Gruppendynamik militärischer Einheiten ist keine nationale oder zeittypische Eigenheit bestimmter Streitkräfte, sondern beruht zum großen Teil auf der menschlichen Sozialnatur. Kollektive funktionieren wohl überall nach dem gleichen Grundmuster: Die Normen der Gruppe rangieren vor den Normen der einzelnen Gruppenmitglieder, und die innere Hierarchie der Gruppe richtet sich danach, wie weitgehend jeder Einzelne die Gruppennormen erfüllt. Dies sind keine historischen Phänomene, sondern psychosoziale Prinzipien, die im Militär nur stärker ausgeprägt sind,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher