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Kaltstart

Titel: Kaltstart
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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ähnliches Gerät zum Zerdeppern von Computern solle man doch mitbringen. Ich fand das scharf und kernig, die Volkszählung 1987 war bei uns schon lange Thema, und auch dazu brauchte man Computer. Also druff. Allerdings erkannte ich auch den Widerspruch zu der Tatsache, dass ich mein Pamphlet eben gerade auf einem solchen Ding verfasst hatte, wie es die entschlosseneren Genossen am liebsten mit dem Vorschlaghammer traktiert hätten. Ich versuchte mir vorzustellen, was Georg zu einem solchen Vorschlag gesagt hätte, und ich vermute, er wäre nicht begeistert gewesen. Ein Widerspruch. Computer nutzen, oder sie zerdeppern? Ich musste das vorerst auf Eis legen. Ich fand da nicht heraus. Heute weiß ich ja sehr gut, dass Computer nutzen und sie hassen absolut kein Widerspruch ist, weil das eine aus dem anderen unmittelbar folgt, und wenn man sich die Statistiken über die ständig steigenden Gewalttaten von Computernutzern gegen ihre Geräte anschaut, so muss man doch zu der Überzeugung kommen, dass die autonomen Vorschlaghammerflugblätter gegen die Cebit 1987 endlich ein Massenpublikum gefunden haben.
    Wir sind die Gesamtauflage des Pamphlets übrigens nie losgeworden, die letzten zwanzig Exemplare habe ich vor ein paar Jahren zum Altpapier getan.
    Ich wollte noch von der dritten Sache erzählen, die ich mit dem Zenith von Georg anstellte. Man konnte auf ihm ein wunderbares Flipperspiel spielen. Ich habe keine Schwäche für Computerspiele, aber dieses, in all seiner Einfachheit, hatte es mir doch angetan, und ich spielte es wirklich gern. Manchmal konnte ich gar nicht aufhören, und wenn Georg dann nachhause kam, und mich vor seiner Maschine fand, warf er mir missbilligende Blicke zu, obwohl ich das Feld immer sofort räumte, und obwohl der code of conduct zwischen uns eigentlich die totale Lockerheit vorschrieb. Mit all dem Geschreibe und Gespiele mag ich den Zenith ausgiebiger benutzt haben als sein Besitzer. Vielleicht war auch das der Grund dafür, dass Georg mir manchmal sagte, ich könne den Computer zwar benutzen, wann immer er selbst ihn nicht brauche, aber ich solle doch bitteschön nicht so auf der Tastatur herumhacken.
    Vielleicht muss ich an dieser Stelle einmal ganz klar sagen, dass ich in der Auseinandersetzung zwischen Apple- und PC-Benutzern, die in Internet-Newsgroups immer noch den Charakter eines vollentwickelten Glaubenskriegs annehmen kann, keine Stellung beziehe. Dass die meisten Apple-Computer schöner als die meisten PCs sind, darf wohl kaum bezweifelt werden, dass sie so viel besser sind – wer weiß. Meine Entscheidung für den PC kam dadurch zustande, dass mein WG-Mitbewohner Georg seinen ersten Computer, der ein Apple war, nach zwei Wochen gegen einen PC vertauschte. Der Zufall hat meine Computersystemwahl ebenso nachhaltig beeinflusst wie die Wahl meines Studienorts, denn wäre die Zulassung aus Freiburg zu einem Germanistik-Japanologie-EKW-Studium eine Woche früher eingetroffen, wäre ich nach Freiburg gezogen. Dort wäre ich Georg nicht begegnet, und hätte vielleicht tatsächlich meine ersten Computererfahrungen mit einem Apple gemacht (obwohl es, statistisch gesehen, unwahrscheinlicher gewesen wäre), und ich wäre niemals ein Opfer von Bill Gates und Andrew Grove geworden. Möglicherweise hätte ich nie auf einem festplattenlosen Zenith-PC linke Pamphlete geschrieben und Computerflipper gespielt. Ich wäre möglicherweise heute ein Japanologe und der glückliche Besitzer der jeweils immer aktuellen, durchgestylten Apple-Maschine, hätte eine schöne Wohnung mit vielen Schiebetüren aus Japanpapier darin und wäre auch sonst reich. Ein völlig anderer Mensch.
    Der Widerspruch zwischen Georgs scheinbarer Großzügigkeit und seinem tatsächlichen Besitzanspruch machte mir immer mehr zu schaffen, bis ich schließlich vor dem Sachzwang kapitulierte. Ich brauchte einen eigenen Computer. Einen nur für mich. Ich musste unabhängig werden. Aber Unabhängigkeit kostete Geld, viel mehr Geld, als ich selber heranschaffen konnte, und meine Eltern mochte ich nicht fragen, das wäre keine richtige Unabhängigkeit gewesen. Ich entschied mich für die kleine Lösung. Ich entschied mich für den Atari Portfolio. Aber vorher kam noch das Jahr 1989.

Die Mutter aller Computer (Atari Portfolio)

    Als ich den Atari Portfolio 1990 für ungefähr 800 DM kaufte (was, gelinde gesagt, hirnlos überteuert war), hatte ich Georgs Apple IIc und seinen Zenith schon hinter mir. Weil ich gar so sehr meinen eigenen
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