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Kaltstart

Titel: Kaltstart
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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einen Ehrenplatz auf Georgs Schreibtisch, und das war auch nötig, denn er war viel größer als der Apple. Wir murksten einen weiteren Nachmittag herum (wobei ich mich sehr zurückhielt, denn Georg wurde sehr ärgerlich über das unzureichende Handbuch), und am nächsten Tag erblickte ich zum ersten Mal die Benutzeroberfläche von Word Perfect. Ein etwas ernüchternder Anblick. Aber das Computerzeitalter hatte für mich begonnen.

    Der Zenith war toll. Er hatte statt einer Festplatte zwei 5,25 Zoll Diskettenlaufwerke, und man weiß heute, verwöhnt wie man ist, ja nicht einmal mehr genau, was das bedeutete. Der Rechner konnte ohne die DOS-Boot-Diskette gar nichts machen, und wenn dann schließlich der Systemprompt auf dem Bildschirm erschien (in diesem Fall ein bernsteinfarbenes c:) musste man eine zweite Diskette mit dem Anwendungsprogramm einschieben, um es von der Commandline aus zu starten. Sicher gibt es Menschen unter uns, die Computer noch mit Lochkarten bedient haben, und die mögen über meine nostalgischen Gefühle angesichts eines festplattenlosen Computers lächeln. Was würde erst Konrad Zuse zu so geringfügigen Problemen mit einem Computer gesagt haben, er, der noch den Schaltzustand seiner Z3 am Klang der klappernden Relais erhören konnte? Meiner persönlichen Rechnung zufolge ist der Zenith die Jungsteinzeit des Computerzeitalters, im Vergleich zum TRS-80, der auf dieser Zeitleiste das Altpaläolithikum darstellt. Wenn man das Anwendungsprogramm Word Perfect geladen hatte (immerhin passte das damals noch in den 512 K großen Arbeitsspeicher), war man gut beraten, in das zweite vorhandene Diskettenlaufwerk eine Diskette zur Datensicherung hineinzuschieben, denn ohne Festplatte keine automatische Datenspeicherung. Die zwei Diskettenlaufwerke waren ein Segen, denn so konnte man immerhin Daten von einer Diskette zur anderen kopieren, ansonsten hätte man nur beten können, dass die wabbeligen 5,25 Zöller, die mich immer irgendwie an Käsescheibletten erinnerten, keine Dateninkontinenz bekamen. Ich weiß nicht mehr, ob ich alles zweifach abspeicherte, wie die Klugen es immer anraten. Wahrscheinlich nicht. Den wahren Beelzebub des Computernutzers, den schrecklichen Dämon DATENVERLUST hatte ich noch nicht kennen gelernt, ihn mir in all seiner Schrecklichkeit vorzuführen sollte dem Atari Portfolio überlassen bleiben.
    Ich tat mit dem Zenith-PC meines Zimmernachbarn Georg drei Dinge. Erstens schrieb ich Gedichte. Es mag seltsam anmuten, dass ein Jugendlicher, der gerade erst seine schwere Hermann Hesse-Vergiftung überwunden hat, seine Gedichte auf einem geliehenen PC schreibt, aber was soll ich sagen, es war so. Weil ich eine unlesbare Handschrift habe, erkannte ich sofort den schlagenden Vorteil des Computers beim Schreiben: Ich konnte nach Herzenslust korrigieren, ohne dass ich irgendwann alles neu aufschreiben musste, weil auf dem verkritzelten Blatt Papier nichts mehr zu erkennen war. Bis auf ein, zwei Stücke braucht man sich über die Gedichte nicht weiter zu unterhalten, sie waren in der überwiegenden Mehrzahl schauderhaft. Man macht halt so seine Erfahrungen.
    Ein anderes Projekt betraf das Verfassen eines politischen Pamphlets. Ich hatte mich einer Gruppe von Freunden der Anarchie angeschlossen, und spezialisierte mich auf die Kaderschulung, will sagen, ich verfasste Flugblätter und, wie gesagt, das Pamphlet. Es war etwa zwanzig Seiten lang, und wurde später in einer Studentendruckerei gedruckt. Obwohl wir eigentlich sehr mild waren, fanden wir selbst das Pamphlet so bedenklich, dass wir als Verantwortlichen im Sinne des Presserechts eine nichtexistente Person und eine falsche Adresse angaben. Dann nahmen wir zweihundert Exemplare unseres Heftes und setzten uns in die Mensa, um sie zu verkaufen. Der Verkauf war mager. Irgendwo in dem Pamphlet muss die SS-Vergangenheit von Hanns Martin Schleyer Thema gewesen sein, denn ich erinnere mich daran, dass ein Burschenschaftler erregt mit dem Heft vor meiner Nase herumfuchtelte und immer wieder sagte: “Schleyer war ein SS-Wirtschaftsführer! Nicht Waffen-SS! Wirtschaftsführer! Keine Waffen-SS!” – Etwa um die gleiche Zeit, als wir das Pamphlet verkauften, tauchten bei uns gewisse Flugblätter der entschlosseneren Genossen auf. Diese Flugblätter waren erkennbar noch nicht mit dem Computer verfasst worden, sondern mit den üblichen abgenudelten mechanischen Schreibmaschinen, und sie warben für einen Besuch der Cebit 1987, einen Hammer oder
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