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Kaltstart

Titel: Kaltstart
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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plötzlich nur noch wie Abfall aussehen. Klein waren die Gerätschaften, die Georg aus den Kartons holte, richtig klein. Während mir das Ding, das ich fälschlicherweise für die Tastatur hielt, sehr elegant vorkam, war ich vom Bildschirm enttäuscht. Er war mir gleich zu klein. Ich mochte ihn nicht. Aber noch waren die Komponenten nicht miteinander verbunden, noch lief das Gerät nicht. Georg musste erst ein Handbuch konsultieren, und das dauerte lange. Es dauerte so lange, dass ich mich wieder in mein Zimmer zurückzog, und darauf wartete, dass die Show beginnen konnte. Nach zwei bis drei Stunden war es so weit: Georg hatte es geschafft. Er rief mich, und ich betrachtete mir die neue Zeit. Sie flimmerte grünlich, und ich konnte ihre Botschaften nur schlecht lesen, weil ich im Licht stand. Georg hatte nicht an ein Verlängerungskabel und eine Mehrfachsteckdose gedacht, und so kauerten wir uns in einer ansonsten leeren Ecke seines Zimmers über dem schlecht beleuchteten Computerchen zusammen wie Ratsuchende über dem Orakelstein in Delphi. Das Ding lief zwar, aber Georg hatte es nicht im Griff. Wie auch? Der Apple IIc wartete mit Apple DOS 3.3 auf, und das war genauso benutzerfreundlich wie MS-DOS. Von einer grafischen Benutzeroberfläche keine Spur, und die mitgelieferten Disketten enthielten, wenn ich mich recht erinnere, nur Demoversionen von Anwendungsprogrammen, die Georg nicht hatte. Ich weiß nicht einmal, ob ein halbwegs taugliches Schreibprogramm dabei war, und das wäre zu diesem Zeitpunkt die einzige Anwendung gewesen, mit der Georg und ich etwas hätten anfangen können. Ganz sicher war aber die Demoversion der Programmiersprache LOGO von Seymour Papert dabei (Sie erinnern sich: Kinder lernen programmieren), und als wir das Programm starteten, bewegte sich eine kleine grüne Schildkröte auf dem Bildschirm herum, ohne dass wir herausfinden konnten, wie sie sich in ihrem Lauf beeinflussen ließ, und was das Ganze überhaupt sollte. Juristisch gesehen waren wir zwei erwachsene Männer, aber wenn uns an diesem Nachmittag jemand gesehen hätte, der immun gegen das Computerfieber war, hätte er uns für schwer bescheuert gehalten. Am Abend dieses Tages hatten wir nur herausgefunden: Ein Computer ist ein Computer ist ein Computer. Im Rückblick sieht dieser verbratene Nachmittag wie die Mutter aller verbratenen Computernachmittage aus, und er endete, wie alle späteren verbratenen Computernachmittage enden sollten: mit roten Augen und trübem Hirn. Wir waren stolz. Wieder ein Tag ohne Rhetorik und Philosophie.
    Georg murkste weiter an dem Ding herum, und brachte wohl doch irgendwie die Vollversion eines Schreibprogramms zum Laufen. Ich erinnere mich, dass ich bald zum ersten Mal mit den nervtötenden Kreissägengeräuschen eines Nadeldruckers Bekanntschaft machte. Ich muss wohl auch ein bisschen mit dem Gerät geschrieben haben; Georg hatte scheinbar nichts dagegen, wenn ich in seiner Abwesenheit daran herumspielte, in dieser Hinsicht war er für einen Computerbesitzer recht untypisch. Ich war neidisch. Ich war begeistert. Ich erzählte meiner Freundin von der Programmiersprache LOGO, der kleinen grünen Schildkröte, und den wunderbaren Sachen, die man mit diesem Computer machen konnte, zum Beispiel: Schreiben! Viel schneller! Viel besser! Und drucken konnte man damit auch! Sie verstand nicht, was ich mit dem Kram wollte, das machte mich mürrisch. Ich würde mir die neue Zeit nicht durch die Lappen gehen lassen. Jedenfalls nicht, solange Georg mich an ihr teilhaben ließ. Zwei Wochen, nachdem wir den Apple IIc aufgebaut hatten, verschwand er aus Georgs Zimmer. Er erklärte, sich einen neuen Computer kaufen zu wollen, einen anderen, denn Apple sei auf dem absteigenden Ast, und die Zukunft gehöre MS-DOS. Ich verstand das nicht. Als Mitbenutzer war ich mit dem Apple IIc eigentlich ganz zufrieden gewesen, warum musste jetzt schon wieder etwas neues her? Die neue Zeit war ganz schön schnell, das verstand ich, und auch, dass Georg einen spendierfreudigen Vater haben musste. “3000 Mark”, antwortete Georg mir auf die Frage, was der neue Computer gekostet habe. Von diesem Preis war ich immer noch beeindruckt, als wir den Rechner ausgepackt hatten. Er selbst war auch ziemlich beeindruckend, abgesehen vom Herstellerlogo, das wirklich das dämlichste Logo war und ist, das ich je gesehen habe: Der Blitz in Z-Form sah aus, als habe er als Aufnäher auf Flash Gordons Heldentrikot gedient. [4]
    Der Computer erhielt
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