Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kaltstart

Titel: Kaltstart
Autoren: Marcus Hammerschmitt
Vom Netzwerk:
obwohl ich auch eine ganze Menge Science Fiction-Romane las, was sowohl meine Eltern, meine Lehrer, als auch meine Irene, solange sie mein war, völlig verwirrte, hatten Computer für mich im wirklichen Leben etwas Verwirrendes, Unverständliches, tendenziell Bedrohliches. Von Computern wurde in Fernsehen, Schule und Familie geraunt, sie würden demnächst sehr wichtig werden, und man solle sich nur schon einmal damit befassen, damit einen die Modernisierung nachher nicht überrumpele. Wir jungen Leute, hieß es! EDV wird wirklich wichtig! Ich wollte nicht, ich hatte Angst. Frieder war in die Naturwissenschaften gegangen, und spielte dort alle an die Wand, was ich ihm neidete und als Verrat empfand, mein Trick war die Literatur. Ich erinnere mich deutlich an eine Busfahrt von der Schule nachhause, bei der ich über drei Bedrohungen brütete, die hinter dem Horizont auf mich warteten: das Abitur, die Bundeswehr, und, am wenigsten konkret, aber dafür umso angsterregender: Computer. Mein Vater, der sonst nur auf die Computer schimpfte, mit denen er als Beamter peripher in Berührung kam, hatte mir schon einige Male nahe gelegt, mich doch einmal “damit zu befassen” – nicht nur immer mit dem Literaturkram. Ich misstraute diesem Ratschlag. Mein Vater empfahl mir auch Tanzkurse und den Führerschein, und das war mir alles zuwider. Computer. Ganz von fern pfiff mir noch der Kanarienvogel im Ohr. Ich mochte das nicht. Ich beschloss, Computer zu boykottieren.
    Ich habe es übrigens nie geschafft, Irene zu küssen. Einmal, zehn, fünfzehn Jahre später, kam sie zu einer meiner Lesungen. Wir gingen nachher noch etwas trinken, und in einem Gemisch aus Blödheit, Vertrautheit und plötzlich aufschießender Sehnsucht legte ich ihr meine Hand aufs Knie. Sie sagte dazu nichts: Diese Berührung, intimer als alles, was sie mir als Jugendliche gestattet hatte, fiel ihr vor Überraschung zwischen die Wörter. Als mir klar wurde, was da passierte, fühlte ich eine tiefe Befriedigung. Und schämte mich gleich darauf enorm dafür.

Portierung (Brother AX 10, Apple IIc, Zenith PC)

    1985 machte ich mein Abitur und zog von zuhause aus. Keine Spur von Computern. Wenn ich überhaupt an sie dachte, dann waren sie immer noch eine Bedrohung, etwas Zukünftiges, was noch gemeistert werden musste, ohne dass ich die blasseste Ahnung davon hatte, wie. Ich suchte mir eine Studentenbude, immatrikulierte mich, und kaufte mir von erspartem Geburtstags- und Abitursgeld zwei Dinge: Eine elektronische Schreibmaschine und eine Druckgrafik. Beides zusammen kostete 1700 DM, für mich ein Vermögen. Es war zu diesem Zeitpunkt noch keine Frage, ob ich mir nicht vielleicht doch einen Computer statt einer Schreibmaschine kaufen sollte, dies war Tübingen, und nicht Kalifornien. Computer waren in Deutschland immer noch deutlich etwas für Spezialisten, und für mich, wie gesagt, eine diffuse Bedrohung. Das einzig Elektronische an der Schreibmaschine, einem Einstiegsmodell des Typs Brother AX-10, war ein einzeiliger Korrekturspeicher, der es erlaubte, einzelne Buchstaben oder gar ganze Wörter zu korrigieren, vorausgesetzt, das Korrekturband war nicht gerade mal wieder aus, und vorausgesetzt auch, die Transportwalze hatte das Papier nicht verwackelt. Wenn das nämlich geschehen war, hauten die Typen bei der Korrektur um Millimeterbruchteile daneben, und hämmerten nur Teile der zu korrigierenden Buchstaben heraus. [3] Dann musste man das Blatt Papier, an dem man gerade schrieb, aus der Maschine herausnehmen, die betreffende Zeile mit flüssigem Tipp-Ex übermalen, das Blatt eine Zeit lang in der Luft herumwedeln, um es danach wieder in die Maschine einzuspannen. Wenn man das Papier nicht lange genug in der Luft herumgewedelt hatte, war das Tipp-Ex noch nicht ganz trocken, und versaute jeden teil der Maschine, der mit dem Papier in Berührung kam. Es konnte auch geschehen, dass sich das noch feuchte Tipp-Ex zwanglos über das ganze Blatt verteilte, dann war die Kacke wirklich am Dampfen. Es gab eine Alternativmethode, die darin bestand, mit schmalen, selbstklebenden, weissen Streifen, ebenfalls von der Firma Tipp-Ex, ganze Zeilen des Geschriebenen abzudecken. Man musste dabei mit großer Sorgfalt vorgehen, denn diese Streifen neigten dazu sich abzulösen, und dann war die Kacke war erst recht am Dampfen. Ich beschreibe all das so ausführlich, weil es klar macht, warum ich trotz allem für die PC-Technologie dankbar bin. Gabriel Garcia Marquez hat einmal
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher