Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kaltes Grab

Titel: Kaltes Grab
Autoren: Stephen Booth
Vom Netzwerk:
Menschen, und Mangel an Behaglichkeit war nun einmal etwas, das sie absolut nicht tolerierte. Weshalb auch?
    Grace war wie immer früh aufgestanden. Als Erstes hatte sie den Thermostat im Flurschrank eingestellt und dann eine Zeit lang zufrieden die Welt draußen vor ihrem Fenster betrachtet, in der ihre Nachbarn im Woodland Crescent vor Kälte weiß wurden, wenn sie das Eis von ihren Autos kratzten oder auf den glatten Gehsteigen ausrutschten und unsicher weiterwankten. Einmal war die Frau von gegenüber in ihrer Einfahrt auf dem Hinterteil gelandet, und ihre Handtasche und ihre Einkäufe waren in hohem Bogen davongeflogen. Grace hatte eine ganze Weile darüber lachen müssen.
    Für ihren Mann dagegen war die stickige Wärme in dem Bungalow zu viel. Kaum war er von seinem Nachtdienst im Krankenhaus zurück, lief er bereits rot an, was Grace gründlich die Laune verdarb. Peter trat sich die Schuhe auf der Matte ab und warf seinen Mantel über den Garderobenständer. Grace wollte ihn etwas fragen, doch er wich ihrem Blick aus, als er sich an ihrem Stuhl vorbei in Richtung Wohnzimmertür schob. Mit kurzen, entschlossenen Handbewegungen setzte sie in der Diele ein Stück zurück und drehte um, wobei ihr linkes Rad eine weitere Schleifspur auf der Scheuerleiste hinterließ. Peter hatte die Tür aus Gewohnheit für sie offen gelassen. Sie blieb dicht hinter ihm, starrte auf seinen Rücken und ärgerte sich darüber, dass er einfach vor ihr weglief. Inzwischen sollte er eigentlich wissen, dass er sie damit zur Weißglut brachte.
    »Hast du die Polizei angerufen?«, fragte sie jetzt in schärferem Ton, nachdem sie sich entschlossen hatte, das Thema anzuschneiden.
    »Nein.«
    Grace sah ihren Mann finster an. Aber sie schwieg, obwohl es sie einige Mühe kostete. Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass es nichts brachte, wenn sie ihn zu sehr bedrängte. Dann würde er nur wieder behaupten, dass sie an ihm herumnörgelte, und sich abwenden, nur um zu beweisen, dass er seine eigenen Entscheidungen traf und sich nicht von seiner Frau herumkommandieren ließ. Manchmal konnte er richtig dickköpfig sein. Dann war er wie ein störrischer alter Hund, den man mit einem Knochen locken musste.
    »Na ja, wahrscheinlich hätte es sowieso nichts genützt«, sagte sie.
    »Nein.«
    Grace sah zu, wie Peter zum Sofa schlenderte und seinen Schlips lockerte. Gleich würde er nach der Fernbedienung greifen und sich von einer dieser schwachsinnigen Rateshows berieseln lassen. Peter behauptete immer, er müsse nach einer Nacht im Krankenhaus erst eine Zeit lang abschalten, weil er von der anstrengenden Arbeit so erschöpft sei. Dass auch sie von dem abschalten wollte, was sie den ganzen Tag über beschäftigt und gequält hatte, spielte jedoch keine Rolle. Ihr blieb immer viel zu viel Zeit zum Brüten. Früher hatte sie sich darauf gefreut, dass Peter nach Hause kam, hatte sich auf diese Vorstellung konzentriert, aber in letzter Zeit schien das nicht mehr zu funktionieren.
    Peter hatte den Geruch nach Feuchtigkeit und Kälte von draußen mitgebracht. Der Geruch von Schnee hing in seinem Mantel und seinem Haar und stieg von den Schuhen auf, die er auf dem nassen Fußabstreifer hatte stehen lassen. In den vergangenen Stunden hatte Grace nur den auf den Heizkörpern röstenden Staub gerochen, der sich an den Stellen sammelte, die sie beim Putzen nicht erreichte. Kurz bevor Peter gekommen war, hatte sie Raumspray versprüht. Trotzdem hatte er diesen unangenehmen kalten Geruch mit hereingebracht, und damit war die Welt dort draußen in den Bungalow eingedrungen.
    »Du weißt doch, dass so was nichts bringt«, sagte er. »Du erwartest zu viel, Grace. Du bauschst schon wieder alles maßlos auf.«
    »Ja, wahrscheinlich hast du Recht.«
    Sie lenkte den Rollstuhl zur Zimmermitte, senkte den Kopf und rieb ihre gefühllosen Beine. Währenddessen beobachtete sie ihren Mann aus dem Augenwinkel und wartete darauf, dass sein Widerstand erlahmte. Bei aller Sturheit ließ er sich dennoch, wie alle Männer, mit der richtigen Taktik einfangen.
    Peter warf sich auf das Sofa und zog die Fernbedienung unter einem Kissen hervor. Der Fernseher erwachte mit statischem Knistern zum Leben. Gerade liefen Nachrichten, mit einem Eingangsbericht über die Auswirkungen des schlechten Wetters im ganzen Land. Abwechselnd wurden Aufnahmen von Kindern, die Schlitten fuhren und Schneemänner bauten, und Bilder von festgefahrenen Autoschlangen gezeigt, von Flughafenhallen voller
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher