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Kaltes Gift

Kaltes Gift

Titel: Kaltes Gift
Autoren: Nigel McCrery
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Violet. Nein, die Spuren ihrer Anwesenheit im
Hause zu beseitigen, das würde einfach sein.
    Das Saubermachen nach Daisys widerlichem Tod dagegen würde
länger dauern und war auch viel unangenehmer, doch dabei brauchte sie
auch nicht perfekt zu sein. Alte Leute waren ihrer Erfahrung nach oft
inkontinent, und wenn die auffälligen Spuren von Durchfall und
Erbrechen erst mal getilgt waren, dann würden eventuelle verbleibende
Flecken und der hartnäckige Geruch nicht allzu verräterisch sein.
Außerdem war die moderne Reinigungstechnologie einfach wundervoll.
    Violet stand auf und ging in die Diele. Ihre Beine waren
unsicher – wahrscheinlich die Erleichterung, dass sie Daisys
Tod hinter sich gebracht hatte –, und sie lehnte sich einen
Augenblick lang gegen die Wand, ehe sie die Tür zum Esszimmer aufstieß.
    Daisy hatte das Esszimmer stets peinlich sauber gehalten für
den Fall, dass sie Gäste bewirten müsste. Das bedeutete, dass es in den
letzten zehn Jahren vielleicht zwei Mal benutzt worden war. In der
Mitte des Raumes stand ein schwerer Mahagonitisch mit spiralförmig
gedrechselten Beinen. Drei silberne Kerzenleuchter standen auf dem
Tisch, und Drucke mit Jagdszenen waren ringsum an den Wänden verteilt.
    Ein zusammengeklappter Rollstuhl lehnte hinten am
Kaminvorsprung und wirkte völlig fehl am Platze, und dahinter lag eine
große graue Plastikplane zusammengefaltet auf dem Teppich.
    Den Rollstuhl und die Plastikplane hatte Violet vor ein paar
Tagen ins Haus gebracht, während Daisy im Schlaf vor sich hinschniefte
und -murmelte. Jetzt trug sie die Plane ins Wohnzimmer hinüber und
blickte sich um. Nicht auf den Fußboden – an dem hatte sie
noch genug zu schrubben und zu staubsaugen. Vielleicht das Sofa.
    Jawohl. Sie faltete die Plastikbahn auseinander und drapierte
sie über das Sofa, bis es aussah wie ein grauer Hügel, wie ein
schimmernder Felsbrocken. Sie konnte Daisys Leiche – leicht,
wie sie war – auf das Sofa hinüberheben, dann den Lehnstuhl in
den Garten hinaustragen und den Teppich gründlich reinigen. Wenn sie
das geschafft hatte, würde sie Daisy ausziehen, sie von oben bis unten
mit Lappen und Handtüchern waschen, die sie danach ebenfalls in den
Garten schaffen konnte, und dann Daisy wieder ankleiden, in ein paar
ihrer anderen Sachen von oben. Danach konnte Daisy, in den Rollstuhl
gesetzt und mit einer Decke zugedeckt, aus dem Haus und die Straße
hinuntergeschoben werden: nur eine ganz gewöhnliche alte Dame, zum
Luftschnappen nach draußen gebracht, die fest schlief und von der
Vergangenheit träumte.
    Violet schaute zu Daisy hinüber. Seit sie zuletzt hingeschaut
hatte, war etwas Mysteriöses und Unwiderrufliches mit der Frau
geschehen, die sie einmal ›Meine Liebe‹ genannt hatte. Was einmal
schlaffes Fleisch und Hängebacken gewesen war, war jetzt nur noch eine
Hülle, über einen alten Totenschädel gezogen. Was einmal Augen gewesen
waren, die auf über achtzig Jahre Geschichte zurückgeblickt hatten,
waren jetzt nur noch blinde Kapseln, auf denen sich bereits Staub
niederzulassen begann. Es war nichts mehr da. Wieder hatte sich das
Mirakel ereignet: Was einmal eine Frau namens Daisy gewesen war, die
geliebt und verloren und gelebt hatte, jetzt war es einfach
ein … ein Nichts. Haut und Knochen und ein Büschel Haare. Und
alles, was sie besessen hatte, gehörte jetzt Violet. Bald würde es
einfach nur noch Geld sein.
    Natürlich musste dabei vorsichtig vorgegangen werden. Immer
ein Schritt nach dem anderen. Nichts, was Verdacht erregen konnte. Aber
in ein paar Monaten würde dann alles ihr gehören.
    Nachdem sie das Haus sauber gemacht hatte.
    Denn jede Reise begann schließlich mit einem ersten Schritt.

2
    A ls Mark Lapslies Handy piepte, schmeckte
der Ton nach Schokolade. Dunkle Schokolade, bitter auf der Zunge,
körnig zwischen den Zähnen und an den Innenseiten der Wangen.
    Draußen vor seinem Schlafzimmerfenster war es noch dunkel,
aber die Vögel fingen schon an zu zwitschern, und es lag eine Frische
in der Luft, die ihm verriet, dass die Dämmerung nahe war. Eine ganze
Weile hatte er seine Gedanken schweifen lassen, hatte von den Tagen
geträumt, als sein Haus voller Leben und Lachen gewesen war, deshalb
hatte ihn der Schock des plötzlichen Geräuschs – und der
plötzliche Geschmacksschwall in seinem Mund – nicht übermäßig
verstört. Irgendwie war er auf einen Anruf gefasst gewesen. Den ganzen
Tag schon hatte er einen leisen Erdbeergeschmack
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