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Kaltes Gift

Kaltes Gift

Titel: Kaltes Gift
Autoren: Nigel McCrery
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ein verblasstes Rot, übersät mit kleinen Löchern
und schorfigen Stellen – und der Mörtel, der sie
zusammenhielt, bröckelten.
    Ihr Blick wanderte zu dem kleinen Vorgarten, kaum groß genug,
um eine Mülltonne und ein paar Töpfe mit müden Geranien zu beherbergen.
Unkraut hatte sich zwischen den Pflastersteinen seinen Weg gebahnt, und
auch um die runde Metallabdeckung herum, die zum Kohlenkeller
hinabführte. Die Sockelsteine der Gartenmauer waren halb unter
staubigen Spinnenweben und alten Schneckenhäusern verborgen,
übereinandergelagert wie wuchernde Geschwüre.
    Es war wirklich Zeit, weiterzuziehen.
    An die Küste vielleicht. Ein bisschen frische Luft und eine
neue Umgebung würden ihr guttun.
    Eine der Geranien war übermäßig gewuchert und halb verdorrt.
Etliche ihrer Blätter waren braun und welk, hatten ihr Leben geopfert,
damit andere weiterleben konnten.
    Violet kramte in ihrer Einkaufstasche und zog eine kleine
Gartenschere heraus, die sie immer bei sich trug. Sie nahm eins der
sterbenden, papiertrockenen Blätter in die Hand, schnitt es dicht am
Stängel ab und tat dasselbe bei den anderen. Na bitte, war das nicht
besser so?
    Sie nahm sich vor, später einen Krug Wasser hinauszubringen,
um die Erde zu befeuchten, dann rollte sie die Einkaufstasche zur
Haustür und grub in ihrer Handtasche nach dem Schlüssel. Sie schob ihn
ins Schloss, bezwang mühsam den klemmenden Mechanismus und stieß die
Tür auf.
    Dunkelheit und der Geruch nach abgestandenem Lavendel und
gekochtem Gemüse hüllten sie augenblicklich ein.
    »Ich bin wieder da, meine Liebe!«, rief sie.
    Keine Antwort. Sie trat ins Haus und schloss die Tür hinter
sich. »Daisy? Ich hab gesagt, ich bin wieder da!« Die kleine Diele
hatte einen Fußbodenbelag aus Linoleum mit kleinem Rautenmuster. Die
Treppe zur Linken führte zum Bad und zu den Schlafzimmern hinauf, und
das Blumenmuster der Tapete an den Wänden sah fast ebenso welk aus wie
die Geranien draußen. Ein Barometer hing gegenüber der Treppe, massiv
und pendelförmig. Sein Zeiger stand auf Veränderlich.
    Das Haus hatte ein Fluidum der Vernachlässigung, wie etwas,
das langsam zu Staub und Moder zerfiel. Schon als sie das erste Mal
hereingekommen war, hatte sie gewusst, dass hier niemand mehr zu Besuch
kam. Dass niemand sich mehr kümmerte.
    Sie rollte die Einkaufstasche vor sich her, vorüber an Wohn-
und Esszimmer, und stieß die Tür zur Küche auf. Schränke mit
Schiebetüren entlang der Wände und mit Melanin beschichtete
Arbeitsplatten ließen sie eher wie eine Erweiterung der Diele aussehen
als wie einen separaten Raum. Dicht beim Herd, direkt neben einer
Porzellanteekanne, stand das einzige Zugeständnis an moderne
Zeiten – ein schnurloser elektrischer Wasserkocher. In der
Ecke neben der Tür, die in den Wintergarten führte, röchelte ein
kleiner Kühlschrank asthmatisch vor sich hin. Er sah aus, als könne er
jeden Moment umkippen und verenden, doch er hatte während der neun
Monate, die sie nun schon hier ins Haus kam, wacker durchgehalten, und
gewiss schon viele Jahre zuvor. Mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit würde er Daisy Wilson überleben.
    Sie stellte ihre Handtasche auf der Ecke des Küchentresens ab,
dann klappte sie den Griff des Einkaufswägelchens herunter und zog den
Reißverschluss auf. Viel hatte sie nicht eingekauft – die
wichtigsten Sachen hatte sie heute Morgen in ihrer eigenen Wohnung
zusammengepackt –, doch Daisy brauchte anscheinend auch nicht
viel zum Leben. Ihrer Erfahrung nach kamen ältere Menschen mit einer
gelegentlichen Tasse Tee, einer Scheibe Brot, gekochten Möhren und hin
und wieder einem Keks bestens aus.
    Sie zog die dünnen Baumwollhandschuhe über, die sie immer in
ihrer Manteltasche hatte, und packte die Tasche aus. Brot, Butter,
Bleichmittel, Gummihandschuhe, Papierservietten und eine Dose mit
Teeblättern, die raschelten, als sie sie auf den Tresen stellte. Dann
reckte sie sich, um den Kessel anzuschalten, und drückte den Knopf
herunter, um das Wasser zum Kochen zu bringen. Das anfängliche Zischen
beruhigte sich zu einem stetigen Murmeln, während das Wasser heiß
wurde. Violet öffnete den Deckel der Teedose und ließ sich den Geruch
der Blätter in die Nase steigen. Sie schloss Augen und Mund und atmete
tief ein. Trocken, ein wenig würzig-scharf, und überlagert vom zarten
Blumenaroma der Christrosenblüten und -blätter, die sie mit dem
Darjeeling gemischt hatte. Perfekt.
    Der Duft war geradezu
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