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Kalter Zwilling

Kalter Zwilling

Titel: Kalter Zwilling
Autoren: Catherine Shepherd
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ärgerlich oder bösartig dreinzublicken, lächelte sie ihn an. Das war zu viel für ihn. Wütend erhob er sich vom Küchentisch und rannte hinaus in den Garten. Der Garten, wenn man ihn überhaupt als solchen bezeichnen wollte, war gerade einmal 50 Quadratmeter groß und von dicken alten Mauern begrenzt. Sie bestanden aus uralten Steinen, fast so alt wie die Stadtmauern selbst, die den winzigen Ort umgaben, in dem er mit seiner Mutter lebte - Zons am Rhein.
    Manchmal glaubte er, innerhalb dieser Mauern zu ersticken, die ihm jegliche Freiheit nahmen und ihn davon abhielten, einen größeren Abstand zwischen sich und seine Mutter zu bringen. Gut, seit er mit dem Studium in Köln begonnen hatte, war es besser geworden. Zumindest musste er sie nicht mehr den ganzen Tag ertragen. Eine Zeit lang hatte er überlegt, in ein Studentenappartement nach Köln zu ziehen, um sie ganz vom Hals zu haben. Aber er kannte sie nur zu gut, sie würde ihn trotzdem nicht in Frieden lassen und wäre wahrscheinlich mehrmals täglich bei ihm aufgetaucht. Hier in diesem Haus konnte er sie wenigstens aus seinem Reich verbannen und er konnte das Haus verlassen, wenn sie ihn zu sehr nervte. Im Studentenwohnheim hätte er nicht so einfach weggehen können, dann wäre sie alleine in seinem Zimmer geblieben und das wollte er nicht. Hinzu kam der ganze Trubel rund um das Studentenwohnheim. Ein ständiges Kommen und Gehen, was ihn früher oder später sicherlich um den Verstand gebracht hätte. Und so war er nicht ausgezogen, sondern bei ihr in Zons geblieben.
    »Kevin, kannst du mir helfen?« Ihre Stimme klang panisch. Missmutig hob Kevin den Kopf und blickte zum Haus. Eigentlich hatte er nicht die geringste Lust wieder hineinzugehen, doch er antwortete: »Ich komme.«
    Mit fünf großen Schritten durchquerte er den kleinen Garten und fand seine Mutter blutend über die Spüle gebeugt. »Ich habe mich geschnitten, mein Junge.«
    Kevin betrachtete die Wunde. Es gefiel ihm, wie das hellrote Blut über die aufgedunsene weiße Haut ihres Unterarmes lief. Im Sekundentakt strömte es stoßweise aus der Wunde hervor und versickerte anschließend im Abfluss der Küchenspüle. Kevin wusste, dass sie sich eine Arterie verletzt hatte. Arteria radialis, die Unterarmarterie, die am häufigsten zum Ertasten des Pulses genutzt wird. Erst im letzten Semester hatte er gelernt, welche Blutgefäße den menschlichen Körper mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgten. Hätte sie sich an einer Vene verletzt, wäre dunkelrotes Blut aus dem Schnitt gedrungen.
    Mit geübten Handgriffen versorgte er ihre Wunde. Er hätte sie gerne genäht, doch sie war viel zu klein und würde sich mit etwas Druck von selbst wieder verschließen. Er zögerte noch eine Weile und ließ dann seufzend ihren Arm sinken. Dankbar tätschelte seine Mutter Kevins Wangen. Dort, wo sein Herz eben noch Fürsorge für sie empfunden hatte, machte sich erneut Abscheu breit. Er hasste es, wenn sie ihn so berührte.
    »Pass das nächste Mal besser auf, Mutter.« Mit diesen Worten drehte er seinen Kopf von ihrer fetten Hand fort und ging hinauf in sein Zimmer. Kaum hatte er die Tür verschlossen, ließ er sich tief atmend auf sein Bett fallen. Er schloss die Augen und sah erneut hellrotes Blut auf das silberne Edelmetall der Spüle tropfen. Der Kontrast von kaltem Stahl und warmem Blut gefiel ihm außerordentlich. Kevin öffnete die Augen und heftete seinen Blick auf den Schreibtisch. Eine abgemagerte weiße Maus lief dort hektisch in einem kleinen Drahtkäfig hin und her. Zwischendurch blieb sie stehen und reckte witternd ihre Nase empor.
    Sie spürte seine Anwesenheit. Er wusste es. Geschmeidig wie ein Tiger erhob er sich von seinem Bett und schlich sich wie ein Jäger an den Käfig heran. Die Maus blieb auf der Stelle sitzen und rührte sich nicht mehr. Ihre kleinen schwarzen Kulleraugen waren weit aufgerissen und starrten ihn an.
    Kevin spürte eine Welle der Erregung durch seinen Körper fließen. Er ergriff das Skalpell, welches frisch gesäubert auf der Edelstahlablage neben seinem Schreibtisch lag und öffnete mit einem Ruck den Käfig. Die Maus saß immer noch still da und hatte die Augen weit aufgerissen. Kevin konnte nicht länger ausharren und stach ihr das Skalpell mit einer kräftigen fließenden Bewegung in den Rücken. Die Maus quietschte laut auf und raste mit zuckendem Körper in die andere Ecke des Käfigs. Blut spritzte aus ihrer Wunde empor. Kevin fühlte sich wie im Rausch und stach ein
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